Runkenstein
Robotic Greetings

Runkensteins Wortkatakomben

Texte aus den tieferen Gefilden des Verstandes
lustig - absurd - düster - kafkaesk - surreal - grotesk


Der floranumische Krieg


Der Planet Floranum wurde 2465 in der Umlaufbahn des Sternes Eta Corona Borealis, kurz Etcobo, entdeckt, 55 Lichtjahre von der Erde entfernt und wie die Sonne zum Spektraltyp G2 und der Leuchtkraftklasse V zugehörig. Die erste Orbitalsonde stellte fest, das der Planet zu 64 Prozent von Pflanzen bedeckt ist, der Rest entfällt auf Flüsse, Seen, Meere, kleine Felswüsten und Bergkuppen. Eine Serie von Landesonden stellte hervorragende Bedingungen für eine Besiedelung fest: Eine für Menschen geeignete Atmosphäre, sauberes Wasser, große Vorräte von nachwachsenden Rohstoffen, nutzbare Erdwärme und, sehr wichtig, keine Anzeichen von intelligenten Lebewesen. Die gesamte Tierwelt war schwach ausgeprägt: Einige Vogelarten, Fische, Reptilien und Insekten. Es gab keine dominierende Rasse oder besonders gefährliche Arten, also stand dem Bau einer Kolonie nichts im Wege. Umweltschutzorganisationen warnten zwar davor, in ein unbekanntes Ökosystem einzugreifen (wie sie es immer taten), aber die Lobby der intersolaren Konzerne hatte bereits ihre Rohstoffabbaulizenzen bezahlt und drängte auf den sofortigen Bau einer Kolonie.
2475 erreichte das Kolonisierungsflagschiff "Earth 2" den Planeten und brachte alles Benötigte für den Bau einer Kolonie mit: Baumaschinen und Material, Ingenieure und Arbeiter, Wissenschaftler und Soldaten. Innerhalb von sechs Monaten bauten sie ein großes Basislager samt Raumhafen für Landeschiffe und Infrastruktur auf, dann erreichten die ersten Konzernschiffe den Orbit und entsandten ihre Mitarbeiter, Maschinen und Soldaten auf den Planeten. Sie errichteten große Gebäude in der Nähe des Raumhafens und Außenposten in der Wildnis, von denen aus der Abbau der Rohstoffe betrieben werden sollte.
Ein weiteres Jahr später waren alle Arbeiten abgeschlossen und der Planet Floranum wurde die 72. Kolonie der Solarallianz. Die große Koloniebasis, inzwischen mit dem Namen "Green City" belegt, wurde jetzt von etwa 20.000 Menschen bewohnt, jeder der drei Konzernaußenposten beherbergte Erntetechniker, Ingenieure, Wissenschaftler und Soldaten im vierstelligen Bereich. Jeder Außenposten war mehrere hundert Kilometer von Green City entfernt und Ausgangspunkt der Abbaumaschinen, welche sich bereits in die Wälder und Felder hineingefressen hatten.

Der Außenposten "Domination" im Norden gehörte "New America Charity and Profit", kurz NACAP, das größte und einflussreichste Wirtschaftsunternehmen der Menschheit. NACAP hatte in allen Industriezweigen Tochterfirmen, verteidigte erfolgreich mehrere Monopole und kontrollierte große Teile des interstellaren Finanzmarktes. Von NACAP-Banken flossen jährlich viele Milliarden Solardollar an verschiedene Hilfsorganisationen und sicherten dem Unternehmen das Wohlwollen der meisten Menschen, von denen es inzwischen 25 Milliarden gab.
Das firmeneigene Militär stellten die "Black Marines", bestausgerüstete und -ausgebildete Soldaten der menschlichen Zivilisation und größte Streitmacht nach der Flotte der Solarallianz. Die Solarflotte war auch der einzige Hinderungsgrund für NACAP, die Macht über das Sonnensystem und sämtliche Kolonien zu übernehmen (Nicht das sie es nie versucht hätten; doch war NACAP zu mächtig, um nach einem gescheiterten Putschversuch zerschlagen zu werden).
Domination stand in einem Gebiet mit großen Vorkommen von Mammutharonen. Diese baumartigen Pflanzen mit mächtigen Stämmen, langen Ästen und großen, farnähnlichen Blättern ragten bis zu 200 Meter in den Himmel und lieferten riesige Mengen von Zellstoff und diverse von der Pharmaindustrie benötigte Enzyme und Chemikalien. Der Boden zwischen den Bäumen war überwuchert von roten und gelben Siliziusbüschen, deren Wurzeln große Mengen von organischem Silizium enthalten, der begehrte und sehr wertvolle Rohstoff für Biochips.

Südwestlich von Green City stand der Außenposten "Harvester" der InterFood AG, der größte Nahrungsmittelkonzern des bekannten Universums. 21 Milliarden Menschen ernährten sich ausschließlich oder teilweise von InterFood-Produkten, Acht Milliarden würden ohne die regelmäßigen Lebensmittellieferungen in alle Teile des besiedelten Weltraumes innerhalb von Wochen verhungern.
In den Ebenen um Harvester wuchsen weite Felder von Sticks, eine nährstoffreiche, bambusartige Pflanze, die dicht zusammen und mehrere Meter hoch wuchsen. Im Halbschattengebiet von vereinzelten Mammutharonen befanden sich außerdem Psylosuswälder. Die Psylosusbäume enthielten große Mengen psychoaktiver Stoffe und waren deshalb nicht nur bei Pharmakonzernen, sondern auch bei der interstellaren Mafia beliebt. Da die InterFood AG jedoch gute Kontakte zu der Mafia pflegte, strömte das Psylosus tonnenweise in das Sonnensystem und die Solardollar auf unzählige Geheimkonten.

Der dritte Außenposten namens "Liqidus" befand östlich von Green City und gehörte der Coca-Morris-Corporation, ein mächtiges Firmenkonsortium. Die CMC baute in ihrem Gebiet die Schleimbeutel ab, welche einen Grundstoff für eine neue Getränkereihe lieferten. Die "E.T.-Drinks" waren inzwischen eine beliebte Alternative zu den bisher verbreiteten Softdrinks aus genmanipulierten Pflanzen, deren Herstellung außer Kontrolle geraten war; deshalb stürzten sich die Massen auf biologisch einwandfreie Produkte aus den Kolonien. Zwischen den etwa zwei Meter großen, normalerweise grünen Schleimbeuteln wuchs das ein Meter hohe, gelbe Widrigras, dessen Fasern an die Bekleidungsindustrie weiterverkauft wurden. Menschen konnten die Schleimbeuteltäler nur mit Kevlarkleidung oder einem anderen Schutz betreten, denn die Kanten des Widrigrases waren rasiermesserscharf, Gift und Widerhaken taten ihr übriges.

1. Juni 2480, 1:13 Uhr Floranum Standardzeit.
Das grünliche Mondlicht strahlte hell durch die wenigen offenen Stellen im Blätterdach der mächtigen Mammutharonen auf die Vegetation des Waldbodens. Auf einem schmalen Weg gingen Jack Cunnigan und Chang Li durch den Wald, beide mit Taschenlampen und Gewehren.
"Wie zum Teufel kann man eine SaveDat im Wald vergessen? Warum hast du sie nicht einfach in die Tasche gesteckt, wie es jeder normale Mensch macht, wenn er eine Dat auswechselt?" fragte Jack etwas sauer, er wollte um diese Uhrzeit eigentlich längst seiner Frau auf Titan eine Voicemail geschickt, gegessen und geduscht haben. Stattdessen lief er jetzt mit diesem Vollidioten durch den Wald, weil der einen Datenspeicher mit seinen Messergebnissen vergessen hatte.
"Ich hab mich doch schon tausendmal entschuldigt. Ich hab das Ding eben auf einen abgebrochenen Ast gelegt, weil dort auch meine Green Cola stand."
"Du solltest diese Alienscheiße nicht trinken. Wer weiß schon, was InterFood da wirklich reinkippt? Steig lieber auf Gene Cola um, da stecken über 100 Jahre genetischer Optimierung drin." versuchte Jack Chang zu überzeugen, aber dieser fasste Genfood nicht an.
"Ich würde eher einen kaiaranischen Satanskäfer essen als diesen Genmüll. Alienfood ist wenigstens irgendwie natürlich. Du sollest doch wissen, dass in Gene Cola Extrakte aus über 40 Tier- und Pflanzenarten drin sind!"
"Und deshalb schmeckt sie auch so gut. Wie weit ist es noch?" wechselte Jack das Thema.
"Da vorne, etwa 100 Meter." schätze Chang, doch in Gedanken war er noch bei der Gene Cola
"Die arbeiten angeblich schon mit menschlichen Proteinen. Willst du wirklich Soylent Cola?" fragte Chang.
"Klar, solange davon mein Schwanz nicht schrumpft!". Beide lachten und verließen den Weg, der große, tote Ast lag neben dem Stamm einer Mammutharone einige Meter vor ihnen. Jack blieb stehen und sah sich um, Chang ging zwischen den kniehohen Siliziusbüschen zu dem Ast, nahm die nach wie vor dort liegende SaveDat in die Hand und hielt sie hoch: "Ich hab sie!"
"Und was ist da jetzt so wichtiges drauf, das wir sie mitten in der Nacht holen mussten?" fragte Jack, der immer noch die Umgebung musterte, mit dem Gewehr im Anschlag.
"Die gesamten Biodaten von dieser Mammutharone hier." Chang zeigte auf den dicken Stamm, der ihm am nächsten war. "Chainsaw 3 wird in einer Woche hier sein, aber wir müssen die Daten bis morgen früh im System haben." Mit "Chainsaw 3" meinte Chang eines der großen Kettenfahrzeuge, die speziell für das Fällen der Mammutharonen konstruiert wurden. Der Unterteil stammte von marsianischen Kampfpanzern der Colossus-Serie, statt zwei Geschütztürmen waren aber drei mehrere Meter lange Kettensägen installiert.
"Dann sollten wir jetzt abhauen, bevor diese verfickten Riesenspinnen auftauchen!" drängte Jack, aber Chang blieb ruhig.
"Reg' dich nicht so auf. So groß sind sie doch gar nicht (bis zu einem halben Meter Durchmesser), außerdem leben sie in den Baumkronen und sind nicht aggressiv. Was dir damals passiert ist, war ein Unfall." Es folge einer von Jack's regelmäßigen Wutanfällen:
"Ein Unfall? Das war kein gottverdammter Unfall, du marsianisches Schlitzauge! Der verfickte Haronenträgerfahrer hätte mal in den Rückspiegel sehen sollen, dieser arschfickende Schwanzlutscher! Der verdammte Baum hatte mich nur um zehn Meter verfehlt, ich wäre fast draufgegangen!"
"Aber das bist du nicht, also vergiss die Sache endlich. Es war doch nur ein kleines Nest, und die Jungs haben nur zehn Minuten gebraucht, um alle Viecher abzubekommen."
"Kleines Nest? KLEINES NEST? Jetzt hakt's aber! Du warst doch dabei, du hast die Viecher gesehen! Es waren exakt 3.428 verfickte Haronenspinnen, die auf mir rumgekrabbelt sind, bevor ihr Sackratten auf die Idee gekommen seit, einen Wasserschlauch statt eines Flammenwerfers zu nehmen! Ich hatte über 700 Bisswunden innerlich und äußerlich, von den kleinen hatte ich fünf verschluckt und zwei sind mir in den Arsch gekrochen! Was grinst du denn so? Findest du das etwa witzig, Reisfresser?" Jack hatte wieder seinen irren Blick drauf, trotzdem konnte sich Chang das Grinsen nur mit Mühe unterdrücken. Nach kurzem Schweigen wurde Jack wieder ruhiger:
"Aber irgendwann erwische ich diesen Hirnkrüppel. Irgendwann bin ich der Haronenträgerfahrer und er ist der dumme Arsch, der dringend aufs Klo muss. Und dann werde ich derjenige sein, der einen spinnenverseuchten Baum auf ihn schmeißt und ihm dann mit einem Wasserschlauch die Scheiße zurück in den Arsch bläst!" Chang ersparte sich den Kommentar, dass der Haronenträgerfahrer inzwischen unter falschem Namen im Merak-System auf einem Minenasteroiden arbeitete. Das wußte Jack zwar, er hielt aber an dem Wunschtraum fest, dass es den Mann irgendwann zurück nach Floranum verschlägt.
Die beiden hatten das Ende des schmalen Fußweges erreicht, der auf eine breitere Straße traf. Hier stand auch ihr Jeep, vorschriftsmäßig beleuchtet und am Straßenrand geparkt. Chang schloss gerade die Türen auf, als Jack das Gewehr mit der Lampe auf einen Baum, 30 Meter vor ihnen, richtete. "Siehst du das? Eine fette Haronenspinne, fast auf dem Boden." Und dann an die Spinnen gerichtet: "Aber du bekommst nichts von meinem Arsch ab! Ich röste dich, Scheißvieh!" Im Lichtkegel der Lampe war die Spinne stehengeblieben. Sie schien Jacks Drohung verstanden zu haben, vielleicht machte sie auch das Licht und das Gebrüll nervös. Sie drehte sich um und krabbelte langsam wieder nach oben, als Jack zehn Meter vor dem Baum stehen blieb.
"Na komm schon runter, du feige, siebenbeinige Missgeburt! Traust dich wohl nicht allein, Hä? Bist wohl nur stark, wenn du deine Brüder dabei hast? Aber die werden dir auch nicht mehr helfen!" Dann aktivierte er die Waffe und feuerte einige Energieladungen auf die flüchtende Spinne, erwischte aber nur zwei Beine. Jack stelle auf Dauerfeuer um und verfolge das Insekt mit seinem Beschuss, bis sie mehrmals getroffen wurde und den Halt verlor. Sie fiel dreißig Meter tief und klatschte auf den Boden, wo der Körper der Länge nach aufriss und innere Organe ausliefen. Immer noch mit dem Dauerfeuer zerschoss Jack die Überreste zu einem brennenden, schwarzen, halbflüssigen Brei. Dann feuerte er wieder hoch, ziellos auf den Stamm und in die hohen Äste, jagte sogar einige Raketen hinterher.
Als er fertig war, brannte an vielen Stellen die Rinde und einige Äste.
Eine Erschütterung ging durch den Baum und in den Boden, schwach, aber spürbar. Dann rief Chang laut "Weg da! Irgendwas kommt von oben!" Jack dachte sofort an die Spinnen und rannte los, in Richtung des Wagens. Die Straße hatte er bereits erreicht, als ihm ein großer Ast die Beine wegschlug, er fiel auf den Boden und drehte sich um. Der Baum, der eben noch eine bewegungslose Spinnenherberge gewesen war, bewegte sich jetzt und war sogar hoch elastisch. Das gesamte Holz schien ein einziger Muskel zu sein, der zum Leben erwacht und verdammt sauer wegen der Schusswunden und Brände zu sein schien. Der Baum bog sich, bis mehrere lange Äste bis auf den Boden reichten, die sich von den übrigen Ästen durch ihr muskulöses Aussehen, lange Stachelreihen und fingerähnliche Auswüchse unterschieden. Zwei diese Greifäste packten Jack und warfen ihn hoch, bis über die Baumkronen, um ihn dann wieder zu Boden fallen zu lassen. Während seines Falls schlug er immer gegen die im Weg hängenden Äste, die Stacheln rissen ihm an einigen Stellen das Fleisch von den Knochen und durchbohrten ihn immer wieder, bis er tot am Boden aufschlug und von einigen Wurzeln in die Erde gezogen wurde.
Vor Angst unfähig, sich zu bewegen, setzte Changs Fluchtreflex erst ein, als Jacks Leiche verschwunden war. Er war nur zwei Meter von der offenen Autotür entfernt, aber im selben Moment schoss ein dicker Ast eines anderen Baumes aus dem Dunkel und schleuderte den Wagen mit einer unheimlichen Leichtigkeit irgendwo ins Dunkel zwischen den Bäumen. Bevor Chang reagieren konnte, hatte ihn ein anderer Greifast bereits gepackt und hob ihn hoch, verletzte ihn aber nicht. Irgendwo weit unter sich sah er im schwachen Mondlicht aus dem Boden einige Wurzeln hervorkommen, die sich öffneten und zu gierig in die Luft schnappenden Fressmaschinen wurden. Chang fragte sich, wo diese neue Haronenart plötzlich herkam, dann fiel er aber schon in die Tiefe und sah als letztes in seinem Leben eine Wurzel direkt unter ihm aus dem Boden schießen, deren spitz zulaufendes Ende sich öffnete und mehrere Zahnreihen auf allen Seiten freilegte. Als er kopfüber zur Hälfte in dem Maul verschwunden war, zog die Fresswurzel sich zusammen und schlitze ihn von allen Seiten auf, bevor die Verdauungssäfte in ihn eindrangen und er in flüssiger Form als Nährstoff in die jungen Triebe am obersten Stammende gepumpt wurde.

01.06.2480, Etcobo-System/Floranum: Das militärische Oberkommando von NACAP, System Etcobo mit Sitz in Green City/Floranum dementiert Berichte, wonach zwei Arbeiter in der letzten Nacht im nördlichen Haronenwald verschwunden sind. Der Biostoffanalytiker Chang Li und der Haronensturztechniker Jack Cunnigan wurden wegen subversiver Aktivitäten verhaftet, verurteilt und hingerichtet. Meldungen über außergewöhnliche Vorkommnisse und Knochenfunde erwiesen sich nach Untersuchungen durch das Militär als falsch.

2. Juni 2480, 16:48 Uhr.
Die Aussicht war einzigartig: Martin Owen stand auf einem ausgewachsenen Schleimbeutel und überblicke das gesamte Feld, von Horizont zu Horizont. Im Westen, zehn Kilometer entfernt, konnte er Liqidus erkennen, der Außenposten der CMC.
Im Westen lagen auch die großen, bereits abgeernteten Flächen. An dem Rand zwischen Einöde und Feld standen weit verteilt etwa zwei Dutzend Erntemaschinen, umgebaute Panzer mit großen Saugauslegern, einer Säge in Bodenhöhe und einem Zerhäcksler für die ausgesaugten Beutel. Im Norden, Osten und Süden aber gab es nur Schleimbeutel, soweit das Auge reichte. Die dichtbewachsene Ebene war nur an einigen Stellen von vereinzelten Mammutharonen unterbrochen, in deren Umfeld einige Psylosusbäume wuchsen. Die Schleimbeutel im Norden, Osten und Süden waren alle grün, aber die Beutel in der Nähe der Erntemaschinen hatten sich alle verfärbt; es gab rote, gelbe, blaue und schwarze.
Martin rief Jean Gonzalez zu sich, einen jungen Mann aus dem Rigil Kentaurus-System, der neu in Harvester war und den er heute anlernen sollte.
"Sieh dir diesen Ausblick an. Du kannst genau erkennen, von welchen Sorten noch genug da sind, und bei welchen Sorten wieder gespritzt werden muss. Von den Schwarzen sind nur noch einige Dutzend übrig, deshalb sind wir jetzt hier draußen: Um für Nachschub zu sorgen." Er deutete auf den grünen Schleimbeutel herunter, auf dem er stand:
"Das hier ist ein handelsüblicher Schleimbeutel, der Gelehrte verwendet irgendeinen wissenschaftlichen Ausdruck, den ich mir nicht merken kann. Sie sind gefüllt mit einer Nährlösung auf Wasserbasis, in der kleine Babyschleimbeutel entstehen, die dann irgendwann rauskommen. Irgendwer ist vor ein paar Jahren auf die Idee gekommen, dieses Zeug hier," Martin deutete auf den Tank auf seinem Rücken, "zu erfinden und es mit einer riesigen Nadel," er hielt den Hochdruckinjektor hoch, der über einen Schlauch mit dem Tank verbunden war "in diese Schleimbeutel reinzuspritzen, damit man diese Nährlösung trinken kann." Er setzte den Injektor an und drücke auf einen Knopf, die Injektornadel surrte los und grub sich durch die zähe Hülle in den Beutel hinein, dann injizierte Martin 200 Milliliter der geheimen Mischung, welche den Nährstoff in ein "Black Alien Cola"-Konzentrat verwandeln würde. Jean machte es ihm nach und beherrschte die Technik nach nur wenigen Versuchen. Zusammen sprangen sie von Schleimbeutel zu Schleimbeutel und impften mehrere Dutzend.
Als Jean seinen letzten Beutel vor dem notwendig gewordenen Nachfüllen des Tanks impfen wollte, schlug die Nährstoffanalyse aus und zeigte ungewöhnliche Werte, Martin holte sich aber die Werte auf sein Display und klärte ihn auf.
"Solche Werte kommen in letzter Zeit öfters vor. Unsere Leute aus dem Labor glauben, das sich die Beutel in einem mehrjährigen Zyklus vermehren und jetzt die Nährlösung mit Wachstumshormonen versetzt wird. Aber in dem Impfstoff ist inzwischen irgendwas drin, wodurch das unterbrochen wird, also jag' das Zeug rein."
"Alles klar" meinte Jean und presste dein Rest seines Tankinhalts in den Beutel unter ihm, der daraufhin etwas dunkler wurde. "Sag mal", fragte Jean zögerlich, "hast du dieses Zeug schon mal getrunken, diese Black Alien-Cola?"
"Früher schon, bevor ich hierher kam. Aber wenn du erst mal gesehen hast, wie dieses Zeug hergestellt wird, bekommst du es nicht mehr runter." Martin setzte seine letzte Impfung an, dann machten sie sich auf den Rückweg.
Während sie von Beutel zu Beutel sprangen, fragte Jean: "Bist du mal runter in das Widrigras gefallen? Das soll ja tödlich sein."
"Ja, vor einigen Monaten. Der Schutzanzug war völlig im Arsch, hat aber gehalten. Es gab auch Unfälle ohne Schutzanzug, die Leichen waren völlig zerfetzt. Es ist, als würden die Pflanzen nach dir schlagen." Martin lief ein kalter Schauer über den Rücken, während er daran dachte. Dann fiel ihm jedoch ein Schleimbeutel einige Meter entfernt auf, der seine Aufmerksamkeit weckte. Er sprang über zwei weitere Beutel und sah ihn sich aus der Nähe an: Die normalerweise nach außen gewölbte Oberfläche war eingefallen und die Seitenwände nach innen gedrückt oder gezogen.
Martin sprang auf einen Nachbarbeutel und konnte erkennen, das der Beutel in Bodennähe an einer Seite ein Loch hatte, die Nährlösung war ausgelaufen und bedeckte den Boden zwischen dem dichten Widrigras. Das Loch war von innen nach außen entstanden und geschnitten worden. Er schoss einige Fotos und meinte dann zu Jean, der inzwischen neben ihm stand:
"Das ist eine ziemlich merkwürdige Sache, solche ausgelaufenen Schleimbeutel sind in letzter Zeit immer öfter zu finden. Im Labor haben sie schon einige untersucht, aber der Ernteleiter von Liquidus hält die Sache geheim. Irgend etwas ist hier im Gange, und ich werde irgendwann herausfinden, was es ist. Aber..." Martin hielt inne, in seinem Augenwinkel hatte er etwas durch das Widrigras zwischen zwei nebeneinanderstehenden Beutel flitzen sehen.
"Hast du das auch gesehen?" fragte Jean, bevor Martin plötzlich in den Beutel, auf dem sie beide standen, einsank. Jean griff sofort nach seiner Hand, fand aber keinen Halt und musste ihn loslassen, um nicht selbst verschluckt zu werden.
"Sofort einen Notruf absetzen!" schrie Martin nach, bevor sein Kopf in dem Beutel verschwand. Auf einen benachbarten Schleimbeutel alarmierte Jean dann den Außenposten.
Der Schleim war warm, vielleicht 15 Grad Celsius, zähflüssig und trüb. Martin hatte den Atem angehalten, sein Messer gezogen und versuchte nun halb schwimmend, halb laufend, zu einer Seitenwand zu kommen, um sich freizuschneiden. Er fand eine Wand und rammte das Messer durch sie hindurch, als sich plötzlich etwas an sein linkes Bein klemmte und in das Knie biss. Der Schmerz schien für einen Moment seine Sinne zu betäuben, dann fasste er sich wieder und stach mit dem Messer blind nach seinem Bein. Die Klinge schnitt sich in etwas hinein, es war aber nicht sein eigenes Fleisch. Das Ding lies sein Bein los und wollte nach seinem Arm schnappen, aber mit seinem anderen Arm griff Martin in Richtung der zappelnden Gestalt, bekam irgend etwas zu fassen und stach dann wild darauf ein. Als er etwas hartes durchbohrte, das eine Schädeldecke oder ein Panzer gewesen sein könnte, drehte er das Messer mehrmals um; die Gegenwehr hörte auf und er konnte endlich eine Seitenwand aufschneiden. Der Schleim strömte aus dem Beutel und überschwemmte das Widrigras. Martin vergrößerte das Loch bis zum Boden und schnitt ein Stück aus der Wand hinaus. Als nur noch der Boden des Beutels von Schleim bedeckt war, konnte Martin die Gestalt endlich erkennen: Sie war etwa 80 Zentimeter groß, dunkelgrün bis schwarz und eine hatte einen humanoiden Körperbau. Zwei Arme und Beine, alle mit je einem zusätzlichen Gelenk; an den langen Armen waren Hände mit drei Fingern und einem Daumen, die Finger mit langen Krallen versehen. Der Schädel erinnerte nur entfernt an einen Menschen, das große Maul mit den kleinen, aber spitzen Zähnen stand stark hervor. Die Augen waren völlig schwarz und größer als bei Menschen. In dem Schädel klaffte ein großes Loch, das mit schwarzer, zäher Flüssigkeit angefüllt war. Der rechte Arm fehlte zu Hälfte, der hervorstehende Knochen war fein zersplittert und die heraushängenden Muskelfetzen ähnelten mehr Pflanzenfasern als normalen Fleisch. Martin machte einige Fotos (seine Kamera war selbstverständlich wasserdicht) und verließ dann den Beutel. Das Widrigras war an einigen Stellen noch plattgedrückt, es hatten sich kleine Schleimpfützen gebildet.
Vorsichtig sah er sich um, er konnte weder Jean noch welche dieser Biester entdecken. Durch das dichte, bauchhohe Widrigras ging er einige Meter, aber um sich herum war nur Stille. Er nahm sich die am Gürtel befestigten Steigkrallen und begann, auf einen Schleimbeutel zu klettern. Erschöpft hatte er die Hälfte geschafft, als er etwas durch das Widrigras kommen hörte, dann ein lautes Kreischen und eine Gestalt, die auf seinem Rücken landete und Krallen in seine Schulter rammte. Martin fiel rückwärts auf den Boden und zerquetsche das Mistvieh, sofort sprang aber ein zweitens aus dem Gras hervor und verbiss sich in sein Bein, worauf er die Klinge seines Messers durch das linke Auge des Biestes in dessen kleinen, hässlichen Kopf rammte und damit sein Problem elegant löste.
Mit Adrenalin vollgepumpt rannte Martin los, durch das Widrigras und die eng zusammenstehenden Schleimbeutel. Sein Schutzanzug war von der neusten Generation, aber die Wunden am Bein waren ungeschützt und die Graskanten vergrößerten die Löcher und schnitten sich tief in die offenen Wunden hinein. Für einen Moment musste er stehen bleiben, weil der Schmerz zu stark wurde, dann setzte aber das Widrigift ein. Die Wirkung gleicht der von Morphium, erzeugt aber auch Angstzustände und Halluzinationen. Der Schmerz ließ nach und ermöglichte es Martin, schneller zu rennen, er zwängte sich zwischen eng zusammenstehenden Schleimbeuteln hindurch und geriet langsam in Panik. Er erreichte ein kleineres Widrifeld zwischen den Beuteln, vielleicht 100 Quadratmeter, und blieb stehen. Ein leichter Wind wehte über das gelbe Gras und die langen, breiten Blätter begannen leise zu summen. Ein Windböe fegte vorbei und verstärkte das Summen, dann war es aber wieder still. Martin presste sich mit dem Rücken gegen einen Schleimbeutel, während er sich umsah, rannte dann zu einem Nachbarbeutel.
Das Summen schwoll wieder an, als er zwischen zwei Schleimbeuteln auf der anderen Seite des Feldes eine Bewegung des Widrigrases bemerkte, die nicht von dem Wind stammen konnte. Es bewegte sich direkt auf ihn zu, durch das Feld hindurch, wo es mit anderen zusammen traf, die er bis jetzt nicht bemerkt hatte. Dann wurde sein Blick auf die Schleimbeutel an der anderen Seite des Feldes gelenkt, wo er etwas sehen konnte, das hoch in die Luft von Beutel zu Beutel sprang, vielleicht war es aber auch nur eine Halluzination. Es blieb auf einem Beutel stehen und Martin erkannte einen der kleinen Angreifer von vorhin. Das Kampfmesser steckte im Stiefel und er griff genau im richtigen Moment danach, denn sofort sprang der erste aus dem Widrigras auf ihn zu. Martin hielt ihm das Messer entgegen und spießte die Kreatur am Hals auf, dann schleuderte er den zuckenden Kadaver weg und wehrte einen zweiten Angreifer ab, der von der Seite kam. Zwei weitere stürzten sich auf ihn; dem ersten schlitzte er den Bauch und dem zweiten den Hals auf. Martin versuchte zu fliehen, hatte aber keine Chance gegen die Übermacht, die sich auf ihn stürzte. Nach einer halben Minute lagen nur noch ein paar klägliche Überreste von seiner Leiche zwischen dem Widrigras, dessen Wurzeln sofort einige Fressblätter wachsen ließen, welche die letzten Fleischreste vom Boden fraßen und verdauten.

Untersuchungsbericht 538-Xe/4
Status: Geheim
Datum: 3. Juni 2480
Untersuchungsobjekt: Überreste eines humanoiden Organismus auf pflanzlicher Basis
Codename des Organismus: Crag/Crags
Fundort: 11 km östlich des Außenposten Liquidus in einem Schleimbeutelfeld.
Beschreibung: Der Leichnam ist 81,5 cm groß, 23,7 kg schwer und besitzt einen humanoiden Körperbau. Die Arme sind je 63,7 cm lang, Arme und Beine enthalten jeweils 1 zusätzliches Gelenk. Die Hände besitzen 3 Finger mit je 4 Gliedern und einer Kralle, der dreigliedrige Daumen ist äußerst beweglich.
Der Schädel hat eine deformierte, menschliche Form (Datenbankeintrag 5132-398), Kiefer und Gebiss weisen auf karnivores Fressverhalten hin. Die Augen sind äußerst weit entwickelt und den menschlichen Augen, speziell in der Nacht, überlegen, genaue Werte siehe Anhang.
Die Knochen bestehen aus einer Zellstoff-Kalk-Verbindung und sind im Rahmen der notwendigen Parameter stabil, splittern jedoch bei starker, äußerer Gewalteinwirkung. die Muskeln bestehen aus pflanzlichem Material, weitere Erkenntnisse liegen noch nicht vor.
Die meisten inneren Organe sind gänzlich unbekannt, es existieren weder Atmungsorgane noch ein Nährstoffkreislauf. Die Verdauung ist auf tierisches Gewebe und Schleimbeutelnährstoff ausgelegt.
Der Organismus enthält ein Gehirn mit einem Gewicht von 1,274 kg, Funktionsweise noch unbekannt.
Weitere Erkenntnisse:
Der Organismus wächst innerhalb eines Schleimbeutels auf, Befruchtung und Tragezeit unbekannt.
Auftreten:
In den letzten 48 h wurden 23 Organismen gesichtet, die Existenz von mindestens 800 Organismen wurde durch Aufklärungsflüge bestätigt. Die theoretische Höchstzahl liegt bei ca. 75 Milliarden Exemplaren (geschätztes Schleimbeutelvorkommen).
Weitere Vorgehensweise:
Der Sicherheitsrat von Floranum ordnet weitere biologische Untersuchungen und ständige Beobachtung der Schleimbeutelvorkommen an. Die Konzerntruppen von Liquidus werden in erhöhte Alarmbereitschaft versetzt.
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Floranum/Sicobo-System am 4.6.2480, Dr. Emilius Vattenken, Leiter biologisches Hochsicherheitslabor

4. Juni 2480, 12:15 Uhr.
Die Kantine von "Harvester" füllte sich langsam mit hungrigen Arbeitern. Siro ging mit seinem Tablett durch die erst zur Hälfte besetzten Tischreihen, als er einen alten Militärkameraden entdeckte, der alleine an einem Tisch saß und mit kritischen Blick ein Sojasteak begutachtete.
"Hey Cain. Willst du das wirklich essen?" Der mit einer schwarzen Militäruniform bekleidete Mann sah überrascht auf, erst da entdeckte Siro die Abzeichen eines Major der CMC-Militärpolizei auf dessen Uniform.
"Hey Siro, lang nicht gesehen. Gibt's in euer Kantine auch richtiges Essen, oder nur dieses künstliche Zeug?" "Keine Ahnung, was ihr in Liquidus bekommt, aber hier gibt es nichts anderes. Aber man gewöhnt sich an alles. Was machst du überhaupt hier? Und wieso bist du nicht mehr bei den Solar Forces?"
"Unehrenhafte Entlassung wegen nuklearer Kriegsführung. Ich hab bei einem Einsatz auf dem Wüstenplaneten Darak die Guerilla mit ihren eigenen Waffen bekämpft. Ich wußte nur nicht, das der Planet inzwischen an "IBM Warefare Solutions" verkauft wurde, und die sind etwas pingelig mit Nuklearwaffeneinsatz auf Firmenbesitz. CMC hatte damit kein Problem, und die zahlen auch mehr. Für heute haben sie mich an euch verliehen, ich soll die Sicherheit in euren Stickfeldern überprüfen. Irgendwer bei euch hat Angst vor den Crags." Siro verschluckte sich fast bei einem Mineralwürfel. "Crags? Von denen kursieren hier die wildesten Gerüchte. Stimmt es, das bei euch eine ganze Eliteeinheit draufgegangen ist?"
Cain lachte laut auf. "Junge, was kippen sie euch denn ins Essen? Bei uns war nur die Rede von vier Arbeitern. Tatsächlich war es aber nur einer, den hat es dafür aber richtig erwischt."
"Ich dachte, die Crags kommen aus den Schleimbeuteln? Wie sollen sie dann in unsere Stickfelder kommen?"
"Keine Ahnung, die Konzernleute scheinen selbst nicht genau zu wissen, was Sache ist. Aber solange die Kohle stimmt, bin ich dabei, und wenn ich den Weihnachtsmann suchen soll." Siro spuckte ein halb durchgekautes Etwas auf sein Tablett, von dem er selbst nicht so genau wußte, was es war.
"Stimmt es, dass es einen Überlebenden gibt?", fragte er leise.
"Allerdings" sagte Cain mit überraschtem Gesichtsausdruck. Er hätte nicht gedacht, dass man in Harvester davon wußte. "Jean Gonzalez, war sein erster Tag bei uns. Der Junge hatte einen Nervenzusammenbruch und liegt jetzt auf der psychiatrischen Abteilung der CMC-Archologie in Green City, streng abgeschirmt und bewacht. Angeblich haben die Crags seinen Fuß erwischt und er ist einige Hundert Meter auf seinem Fußstumpf über die Schleimbeutel gelaufen. Hatte wahnsinniges Glück, das er nirgends ausgerutscht ist, im Widrigras hätte er gegen die Crags keine Chance gehabt." Cain nahm einen Schluck Gene Cola und spülte das noch warme Stickbrot hinunter. Siro hingegen hatte plötzlich seinen Appetit verloren und aß nur noch seinen Algen-Schokoriegel.
"Hast du von der Sache im Haronenwald gehört?", fragte er schließlich.
"Nur, das es eine ganze Black Marines-Eliteeinheit erwischt hat!" antwortete Cain mit einem Grinsen, beide mussten lachen. Dann stand Cain auf, trank seine Cola aus und nahm sein Tablett.
"Vielleicht sehen wir uns ja noch, ich bin nachher in Abschnitt 4 unterwegs." Siro stand ebenfalls auf und ging mit Cain in Richtung Ausgang.
"Schon möglich, ich bin in Abschnitt 5." Beide stellten ihre halbvollen Tabletts auf das Fliessband, auf dem unzählige weitere halbvolle Tabletts langsam vorbeifuhren und verließen anschließend die Kantine mit einen leichten Hungergefühl, welches den meisten Harvester-Bewohnern bereits vertraut war.

4. Juni 2480, 14:38 Uhr.
"Hast du das gerade auch gesehen?" Susann stellte den Motor des Stickernters aus, kletterte auf die Plattform über der Fahrerzelle und sah mit einem Fernglas hinaus auf das Stickfeld.
"Was soll ich gesehen haben?" fragte Xanon, der Erntetechniker. Seine Technikerzelle war seitlich unterhalb der Fahrerzelle angebracht, von wo er normalerweise die Systeme kontrollierte, welche den Erntevorgang steuerten; es war also unwahrscheinlich, das er etwas im Feld gesehen hatte.
"Da war eine Bewegung auf zwei Uhr, 70 Meter Entfernung." Susann zoomte eine Stufe zurück und suchte nach Bewegungen im weiteren Umfeld.
"Nichts zu sehen" rief sie, "wir machen weiter." Ein leichter Wind kam auf und heulte leise zwischen den Abermillionen von Sticks durch, die sich langsam mit dem Wind bewegten. Dann bildeten sie einen Rhythmus, in dem sie erst langsam, dann immer schneller einstimmten. Schließlich schlug das gesamte Feld wild hin und her, während schnell aufziehende Wolken die Sonne verdunkelten und der aufziehende Sturm erste Regenschauer aus dem Westen herantrug.

4. Juni 2480, 15:14 Uhr.
"Major Savian, Sir, wir sollten die Stickfeldbesichtigung wirklich abbrechen. Umherschlagende Sticks können bei Sturm gefährlich werden." Major Cain Savian sah kurz von seinem Infodeck auf und erkannte im Gesicht von Corporal Jutan, den man ihm als Führer zugewiesen hatte, dass dieser ernsthaft besorgt war. Die Männer hockten in dem Stickfeld in einem Zwanzigerabschnitt, was bedeutete, dass die Sticks im Durchschnitt 20 Zentimeter voneinander entfernt aus dem mit moosähnlichen Pflanzen überwuchertem Boden wuchsen. Sie waren hier etwa zwei Meter hoch und peitschten wegen des Windes wild durcheinander. Auch das Infodeck weckte keinen Optimismus: Im gesamten Harvestersektor wurde Sturmwarnung gegeben, was den Abbruch der Arbeiten und die Rückkehr in den Außenposten erforderlich machte. Auf Darak wurde wegen eines Sturms nie ein Einsatz unterbrochen, aber dort leben damals auch nur Elitesoldaten und Söldner.
Cain klappte das Deck zusammen und stand auf, mit erhobenen Händen schütze er sich vor den umherschlagenden Sticks.
"Wir brechen ab. Falls es hier Crags gibt, werden die sich bei dem Scheißwetter sowieso nicht zeigen." Der Corporal nickte, erhob sich und ging voraus. Im geduckten Gang liefen sie zwischen den über ihren Köpfen zusammenschlagenden Sticks hindurch. Die Geräuschkulisse wurde immer bedrohlicher: Zu dem lauten Klappern der Sticks, dem Pfeifen und Heulen des Sturms und dem Donnern der Blitze gesellte sich prasselnder Regen; erst leise, dann immer lauter und stärker. Die Sicht wurde schlechter und auf dem matschigen und durchgeweichten Boden bildeten sich die ersten Pfützen. Der Corporal rutsche aus und fiel der Länge nach hin. Fluchend raffte er sich wieder auf, um dann zuckend und gurgelnd wieder zu Boden zu fallen, wo er bewegungslos liegen blieb. Da er mit dem Gesicht in einer größeren Pfütze landete, rollte Cain ihn sofort auf den Rücken, damit er nicht ersticken konnte. Er kniete sich neben den Corporal und versuchte ihn anzuheben, was aber nicht gelang; dieser schien am Boden festzukleben. Beim zweiten Versuch konnte er den leblosen Körper zwar auch nicht auf den Rücken, aber wenigstens zur Seite drehen, was ihm bereits genügte, um den Grund für die Unbeweglichkeit festzustellen: Der Corporal hatte etliche Sticks bei seinem Fall abgebrochen, die aus dem Boden ragenden Reste waren sofort in den Körper gewachsen und hatten ihn getötet. Die Leiche blutete aus über zwei Dutzend Löchern, in einigen steckten noch Sticks drin. Während Cain auf den blutenden Körper und die aus dem nassen Erdreich wachsenden Sticks starrte, drang langsam ein Schmerz in sein Bewußtsein, den er bis jetzt kaum wahrgenommen hatte: Neben seinem linken, auf den Boden gestützten Knie war ein Stick aus dem Boden gewachsen und hatte sich in seinen Oberschenkel gebohrt. Cain sprang auf und riss sich die Pflanze aus dem Bein, doch ein stechender Schmerz schlug ihn nieder. Langsam raffte er sich wieder auf und sah sich das Stück in seiner Hand an, das er immer noch festhielt: Der Kopf des Stick schlang gerade einen großen Fleischbrocken herunter. In seinem Oberschenkel klaffte ein großes Loch und er verlor viel Blut, also aktivierte er die OA (Oberschenkelabbindung) seiner Hose, die sich fest um das Bein schlang. Jetzt wurde es gefährlich, Cain musste sofort aus dem Stickfeld rauskommen. Er schoss eine Signalrakete in die Luft, die in dem Sturm und dem starken Regen jedoch keine Chance hatte. Der Kompass war kaputt, deshalb humpelte er blind in eine Richtung los. Regen und Wind machten eine Orientierung unmöglich und die Sticks schlugen immer heftiger um sich. Einige schafften es, sich an ihm festzubeißen, doch Cain schnitt sie sofort mit seinem Kampfmesser ab, mit dem er früher die Kehlen von Darak-Rebellen aufschlitzte. Andere Zeiten, andere Feinde.

4. Juni 2480, Wettervorhersage für Floranum: Die Temperatur liegt bei zunächst 20ºC, wird aber im laufe des Tages auf 11ºC abkühlen. Gegen Nachmittag sind im Umfeld des Harvester-Außenpostens schwere Unwetter zu erwarten, für den Abbruch der Erntearbeiten besteht eine 95%-tige Wahrscheinlichkeit.

4. Juni 2480, 15:36 Uhr.
Das Feld wurde dichter, das Krachen der Blitze lauter und die Sticks blutrünstiger. Zu Dutzenden schlugen sie nach Cain und vielen gelang es, sich tief in das Fleisch zu graben. Er konnte sie nicht so schnell abschneiden, wie sie sich in ihn bohrten, deshalb versuchte er zu fliehen; doch nach zwei Metern wurde er von ihnen zu Boden gerissen. Neue schnappten nach ihm, wesentlich dickere, die gerade erst aus dem Boden gewachsen waren. Einer von ihnen schlug ein Loch in den Schädel, wühlte sich durch das Gehirn zu den Halswirbeln und bewegte sich die gesamte Wirbelsäule hinunter, indem es die Knochen verflüssigte und aufsaugte. Am Steißbein drehte es sich in den linken Oberschenkel, folgte den Knochen bis zum Fuß und kam aus der Sohle heraus. Der Killerstick hatte die dreifache Länge seiner kleineren und dünneren Artgenossen erreicht und ragte dem Sturm trotzend senkrecht in den dunklen Himmel. Die Leiche von Major Cain Savian hing auf groteske Weise über den kleineren Sticks, warmes Blut spülte einige Stücke von Hirnmasse den dicken Stamm hinunter, auf dem es sich mit dem Regen mischte.
Der Regen wurde schwächer, die Wolken zogen langsam weiter und der Killerstick zog seine Beute unter die Oberfläche. Schon bald waren die Spuren des Kampfes nicht mehr zu sehen, nur ein im Boden steckendes Kampfmesser passte nicht hierher.

5. Juni 2480, Tagesbericht:
Fünf Crag-Gruppen mit je 20 - 30 Exemplaren greifen außerhalb des Außenpostens an: 34 verletzte Zivilisten und Soldaten.
Mehrere schwere Transportcrawler und ein Flammenpanzer des CMC-Geheimdienstes kommen um 14:39 Uhr aus dem Schleimbeutelfeld bei Abschnitt 23 und erreichen Liquidus. Ein Landeschiff ohne Seriennummer holt um 14:52 Uhr bei Liquidus die Fahrzeuge an Bord und fliegt sofort zurück in den Orbit.
Aggressive Sticks wachsen mit Hilfe von Auslegern aus westlicher Richtung bis fünf Kilometer vor Harvester, bei der Errichtung von Sticksperren werden 27 Soldaten getötet.
Die Mammutharonen werden aggressiver und greifen immer wieder Fahrzeuge und Menschen an, 16 Arbeiter sterben. Der Wald wird um 20:24 Uhr von mehreren Black-Marines-Staffeln gesperrt und beobachtet.
Um 23:36 Uhr überwinden 25 ungewöhnlich große Haronenspinnen die Laserzäune und dringen den Außenposten ein; alle Spinnen wurden getötet.

6. Juni 2480, 10:07 Uhr.
"... die meisten Erntetechniker streiken, dazu die ständigen Angriffe der Crags. Die finanziellen Verluste sind bereits jetzt nicht mehr auszugleichen. Dieser Zustand muss beendet werden, und zwar innerhalb der nächsten zwei Tage und mit allen erforderlichen Mitteln!" Der kleine, rundliche, etwa 50-jährige CMC-General schlug mit der Faust auf den Tisch und verlieh seiner Wut Nachdruck. Die anderen Konzernvertreter des Floranum-Sicherheitsrates nickten zustimmend, während sich Marsh wieder setzte.
Der Ratsvorsitzende erhob sich, er wirkte nun wesentlich nervöser als noch vor wenigen Minuten, versuchte aber, es sich nicht anmerken zu lassen. "General Marsh, wir kennen ihre Position bereits. Ich muss sie aber daran erinnern, dass die CMC einen Vertrag unterschrieben hat, auf diesem Planeten keine ABC-Waffen einzusetzen oder einsetzen zu lassen. Diese Verträge..." "...beinhalten aber auch, das wir uns zu Wehr setzen dürfen, wenn unsere Interessen bedroht werden, Und dieses Gemüse bedroht unsere Interessen!" Die Unterbrechung der Interfood-Vertreterin war ein Affront gegen den Ratsvorsitzenden, doch dieser würde es nie wagen, Systemcommander Sythoff zurechtzuweisen. Sie hatte schon in anderen Planetensystemen InterFood-Kriege gegen den Willen der Solarallianz geführt und sich mit wesentlich mächtigeren Regierungsvertretern angelegt. Der Ratsvorsitzende setzte sich wieder hin, Widerstand war zwecklos.
"Über drei Dutzend Arbeiter sind bereits in den Stickfeldern gestorben, der Rest verweigert die Arbeit. Die Sticks werden immer aggressiver, und von den Crags, die inzwischen auch außerhalb der Schleimbeutelgebiete zu finden sind, will ich gar nicht erst anfangen." "Was glauben sie, wie es bei uns aussieht?" meinte der General, der es sich erlauben konnte, sie zu unterbrechen. "Die Crags sind wie eine verdammte Seuche! Nachts kommen sie bis in den Außenposten, um unsere Mitarbeiter anzufallen. Letzte Nacht mussten wir bereits schwere Artillerie einsetzen, um sie von den Mauern fernzuhalten."
"Genau das ist der Punkt, General." Die Systemcommanderin wand sich nun wieder an den Ratsvorsitzenden: "Die innere Sicherheit ist gefährdet und die Solarallianz sieht zu. Wir werden uns verteidigen, auch gegen den Willen der Bürokraten. Die Erde ist weit weg, und hier draußen haben die Konzerne das Sagen. Das sollten sie niemals vergessen, Herr Vorsitzender!"
Plötzlich wurde es sehr still in dem großen Konferenzraum. Den Allianzvertretern war klar, dass ab jetzt die Konzerne bestimmen würden, wie sich die Menschen gegen die Pflanzen zur Wehr setzen würden. Sythoff hatte völlig Recht: Auf Floranum waren nicht einmal Tausend Soldaten der Solarallianz stationiert, Panzer und Raumjäger standen nur zu einigen Dutzenden zur Verfügung. Die Systemcommanderin hatte nicht nur 7.000 auf Floranum stationierte Soldaten unter ihrem Kommando, sondern auch weitere 10.000 im Orbit, dazu einige Tausend Raumschiffe und Panzer. Die anderen Konzerne konnten ähnlich große Truppen vorweisen.
Doch für das Ausstellen von Marschbefehlen war es noch zu früh. Bei Konflikten dieser Größenordnung war das Anmieten von Söldnern und Destruktionsspezialisten samt Waffensystemen, Munition, Versicherung, Gefahrenzulage und ‚warefare tax' oftmals günstiger als die Verwendung eigener Truppen, wenn auch nicht immer, und die Konzernmilitärs von Floranum hatten ihre Wahl bereits getroffen: Atomic Destructions. Die Spezialität dieses mächtigen Vertreters der Kriegsindustrie war der atomare Blitzkrieg, anschließende Dekontamination gegen Aufpreis. Atomare Verseuchung auf einem Planeten mit Nahrungsmittelabbau war natürlich wenig sinnvoll, deshalb hatte sich der Sicherheitsrat für ein ähnliches Paket mit B- und C-Waffen entschieden, sofern die betroffenen Konzernführungen zustimmten.

6. Juni 2480, 15:28 Uhr.
General Marsh stand am Fenster seines Büros der CMC-Archologie in Green City und beobachtete in Gedanken versunken die Landung eines großen Transportsschiffes auf einem Landedeck schräg unterhalb seines Fensters. Vor fünf Minuten hatte er eine Nachricht erhalten und vermutete, dass Sythoff sie gleichzeitig bekommen hatte. Ein Summen auf dem Schreibtisch deutete an, dass seine Vermutung richtig war.
"Ja?" "Sir, Systemcommander Sythoff ist gerade eingetroffen. Sie ist..." weiter musste Marsh's Adjutant nicht sprechen, weil plötzlich die Tür weit aufflog und Sythoff hereinstürmte. Die Wut stand ihr ins Gesicht geschrieben.
"Diese inkompetenten Arschlöcher, Speichellecker und Konzernbürokraten!" Sie hatte noch eine halb abgebrannte Zigarette in der Hand, die sie mit einem Zug wegrauchte. Den Stummel drückte sie in dem Aschenbecher auf dem Schreibtisch des Generals aus, der eigentlich nur Dekoration und ein Jahrhunderte altes Erbstück war.
"Der Aufsichtsrat von InterFood hat die Erteilung eines Auftrages an Atomic Destructions abgelehnt. Diese liberalen Weicheier haben den Einsatz von konventionellen Waffen befohlen. Verdammter Dreck! Diese Typen haben keine Ahnung von planetarer Kriegsführung, wollen uns aber die Waffen vorschreiben. Sie haben vermutlich die selbe Anweisung bekommen?" Der General nickte.
"Dachte ich mir. Bei so was halten die Konzerne zusammen. Die IF-Truppen werden morgen eintreffen, dann lasse ich die Stickfelder mit Napalm bombardieren. Ich brauche Atomic Destructions nicht, um hier aufzuräumen! Ich nehme an, sie haben etwas ähnliches vor?" Sythoffs Blick schien Marsh förmlich aufzuspießen.
"Natürlich. 12.000 Mann und schweres Gerät stehen morgen bereit, vorher wird das Gebiet mit 500 Tonnen Sauerstoffphosphoridbomben behandelt." Marsh sagte dass völlig nüchtern, als ginge es um die Ausräucherung eines Wespenstocks, als plötzlich die Tür aufflog und Systemflottenführer Kobon eintrat, oberster Befehlshaber der Black Marines und NACAP-Vertreter auf Floranum. Der etwa 30-jährige, große, athletische Mann war in einen langen, schwarzen Ledermantel gekleidet und hatte die Ausstrahlung eines KZ-Kommandanten. Die Schirmmütze, welche er auf seinem blonden Bürstenschnitt trug, stammte tatsächlich von einem solchen; den silbernen Totenschädel hatte er jedoch gegen zwei gekreuzte Plasma-Sturmgewehre mit Bajonette ausgetauscht - Das Symbol der Black Marines.
"Mein Geheimdienst hat mir gerade mitgeteilt, dass sie ihre gesamten Truppen aufmarschieren lassen." Er sah erst Sythoff, dann Marsh in die Augen und schien ihre Pläne bereits erraten zu haben.
"Einen Tag wie den morgigen hat dieser Planet noch nicht erlebt. 10.000 Black Marines mit schwerer Artillerie am Boden und Massebeschleuniger im Orbit werden diesen Pflanzen zeigen, wozu NACAP fähig ist."
"So schwere Geschütze gegen den Wald?" Marsh fand den Einsatz von Massebeschleunigern fragwürdig. "Wir wollen nur einige abnormale Gebiete säubern und nicht den halben Planeten vernichten. Der Sicherheitsrat würde es nicht gutheißen."
"WIR sind der Sicherheitsrat! Und die NACAP-Führung hat bereits ihre Zustimmung signalisiert." Er machte eine Pause. "Wir hatten hohe Verluste in Bereichen, die der Geheimhaltung unterliegen. Jetzt werden wir diesem Planeten zeigen, wer die dominierende Rasse ist." Mit diesen Worten verliess der Systemflottenführer wieder den Raum.

6. Juni 2480, 21:00 Uhr.
Der Floranum-Sicherheitsrat stellt den gesamten Planeten unter Kriegsrecht. Zivilisten ist es nicht erlaubt, sich ohne Genehmigung im Freien zu bewegen, Zuwiderhandlung wird mit sofortiger Exekution bestraft.

7. Juni 2480, 3:41 Uhr.
"Anhalten!" Der schwere Kampfpanzer kam zum Stillstand.
"Turm auf 270 Grad." Der große Geschützturm machte eine Vierteldrehung nach links und war jetzt auf den Haronenwald gerichtet. Zwischen den drei Plasmageschützen und vier 20mm-Maschinengewehren öffnete sich eine Klappe aus gehärtetem Titan und gab den Blick für eine Infrarotkamera und ein Richtmikrofon frei.
"Geben sie mir Audio und Video." Die junge Frau gehorchte und leitete die Signale an das Terminal des Panzerkommandanten weiter. Ton und Bild passten nur bedingt zusammen: zu sehen waren neben Unmengen von Haronenspinnen und anderen Waldbewohnern große helle Flächen, welche die Haronen heraufflossen. Die Bäume schienen sich mit einer warmen Flüssigkeit zu füllen oder Wärme aus dem Boden aufzunehmen und zu verteilen. Zu hören waren neben den üblichen Geräuschen von Insekten auch größere Erschütterungen und mehrere tiefe Brumm- und Rauschtöne. "Übermitteln sie die Daten an die Basis", befahl der Kommandant, "Und jetzt wieder Fahrt aufnehmen. Das Gebiet ist zu aktiv."
Der Panzer fuhr mit einem lauten Donnern los und richtete seine Kanonen wieder nach vorne aus. Seine Höchstgeschwindigkeit hatte er noch nicht erreicht, als ein starkes Beben die Erde erschütterte und den Boden an einigen Stellen aufbrach. Der Panzerpilot hatte arge Probleme damit, das große Fahrzeug in dem entstehenden Trümmerfeld unter Kontrolle zu halten. Ein großer Graben setzte der Irrfahrt ein Ende; der Panzer stürzte sieben Meter in die Tiefe und schlug gegen einen großen Felsbrocken. Dann kippte er seitlich weg und fiel weitere fünf Meter hinab in einen seichten Fluss aus zäher, gelblicher Flüssigkeit.
"Alles tot. Die Elektronik ist komplett ausgefallen." Major Kate Sanko stöhnte auf, bei dem Sturz waren ihre Beine und der linke Arm mehrfach gebrochen.
"Alles klar da vorne?"
"Ich spüre meine Beine nicht mehr und in meiner Schulter steckt eine verdammte Metallplatte! Was macht der Kommandant?" Der Panzerpilot klang schwer angeschlagen.
"Tot. Hat sein Gehirn über die Waffenkontrollen verteilt, eine echte Schweinerei."
Der Panzer vibrierte stark, dann riss eine beschädigte Ausstiegsluke auf und lies die gelbliche Flüssigkeit in das Panzerinnere sickern. Ein fauliger Gestank verbreitete sich und raubte den zwei Schwerverletzten den Atem, bevor sich ihre Lungen auflösten und sie blutigen Schleim spuckten. Sanko gelang es gerade noch, die Selbstzerstörung zu aktivieren, bevor sie an dem Schleim aus Blut und Lungenbläschen erstickte.

7. Juni 2480, 7:00 Uhr.
Die taktische Kommandozentrale des Außenostens "Domination" lag 15 Meter unter der Erde in einem Bunker. Außenposten von NACAP waren immer für den Krieg gerüstet, weil NACAP fast überall Krieg führte. Die Black Marines kämpften gegen Umweltschützer, Ureinwohner, Terroristen, Demonstranten, Piraten, fehlgeschlagene Genexperimente und natürlich auch gegen andere Konzerntruppen.
"Ist die Avenger bereit?" Kobons Stimme hallte durch den düsteren, nur von roten Lampen und grünen Bildschirmen erhellten Raum. "Massebeschleuniger Eins und Zwei sind aufgeladen und auf die Zielkoordinaten ausgerichtet, Systemflottenführer." Die "Avenger" war mit 3,1 Kilometern Länge das größte Schiff der Flotte, ein 1,2 Millionen Bruttoregistertonnen schwerer Zerstörer für die Planetenbombardierung. Zwei gewaltige Massebeschleuniger zu beiden Seiten des Rumpfes erreichten den Zerstörungsgrad von Nuklearwaffen.
"20 Schuss, Autorisierung Alpha 23 Tesarion." Die zwei Massebeschleuniger feuerten mehrere Salven hochverdichteter Materie ab, die in der Atmosphäre aufglühten und als kometengleiche Feuerbälle in den Haronenwald einschlugen. Riesige Brandlöcher bildeten sich in der zusammenhängenden Waldfläche, welche langsam in Bewegung geriet. Ein Geschwader Bodenkampfschiffe überflog das Gebiet für die Nahaufklärung, wegen eines technischen Problems wurden die Bilder aber mit großer Zeitverzögerung in die Kommandozentrale gesendet. Als die Bilder den Systemflottenführer erreichten, wurden die Schiffe bereits von extrem großen Schreckwespen angegriffen. Die Fluginsekten sonderten metallzersetzende Säure ab, welche sich bis zu den Triebwerken und anderen wichtigen Systemen durchätzte und so die Schiffe zum Absturz brachte.
"Was zeigen die Bodenspäher?" Kobon erahnte bereits den Angriff. Das Videosignal eines Beast-Angriffspanzers wurde auf einen großen Monitor gelegt, es zeigte den Haronenwald im Norden des Außenpostens aus einer Entfernung von 200 Meter. Das schwache Licht der Morgendämmerung schimmerte durch die zuckenden und sich biegenden Haronen. Sie schienen wie erwachte Krieger, die sich auf den Kampf vorbereiten. Doch im Schatten der noch trägen Giganten war bereits eine kampflustige Insektenarmee aufgezogen, die fliegend und krabbelnd aus dem Wald hervorbrach und millionenfach auf den Außenposten zuströmten. Auf dem Boden krabbelte ein Tausende Quadratkilometer großer Teppich aus Haronenspinnen, ein ebenso großer Schwarm von Schreckwespen summte fast unsichtbar über den düsteren Himmel.
Die blitzartige Flucht des Panzers blieb den Insekten nicht unbemerkt, doch einige Tausend Schreckwespen und Haronenspinnen erreichten ihn wegen eines Kettenbruchs schon nach wenigen Minuten. Die 80 mm-Geschütze konnten gegen die Insekten nicht viel ausrichten, aber die Flammenwerfer rösteten dafür mehrere Tausend von ihnen. Dennoch gelang es den Insekten, sich durch die Wände zu fressen und die Besatzung anzugreifen, bis schließlich die Munition explodierte und die Kampfgasvorräte die Insassen und Angreifer in schleimige Asche zersetzte.

Kurzmemo 562
Sender: Dr. Muhammed Xao-Lung, Biolabor 3
Empfänger: Floranum-Sicherheitsrat
Betreff: Ergebnisse der Bioanalyse von Proben SN-474, VH-492, IV-592, EN-184 und DN-381
Text: Hochgeschätzte Ratsmitglieder, besagte Proben lagen in Form einer zähflüssige Masse vor, welche von verschiedenen auf Floranum wachsenden Pflanzenarten (darunter sämtliche kommerziell verwendeten Pflanzenarten) seit 1,5 Tagen (Stand: 7. Juni 2480) abgegeben werden. Die Hauptbestandteile der Substanz sind ein Wachstumshormon und ein Lockstoff für Insekten. Die Versuchsreihe mit Versuchen an lebenden Insekten wird noch mehrere Tage benötigen, aber erste Schnelltests ergaben eine mögliche Wachstumsrate von 25 Prozent bis 1.000 Prozent und mehr bei floranumischen Insekten.

7. Juni 2480, 7:02 Uhr.
Geräuschlos verließen die schweren KP-Bomben die Abwurfschächte der Subsonicbomber, fielen lasergesteuert und computergelenkt in die ihnen zugewiesenen Zielsektoren. Mehrere Hundert Quadratkilometer Schleimbeutel und Widrigras wurden von der segnenden Hitze der Sauerstoffphosphoridfeuer in Wasserdampf und Asche gespalten. Zehntausende Crags wurden ebenfalls lebendig pulverisiert, doch den bevorstehenden Angriff konnte das nicht verzögern, geschweige denn verhindern.

7. Juni 2480, 7:04 Uhr.
Der Teppich aus Haronenspinnen erreichte die äußeren Feuersperren. Fast gleichzeitig zündeten an den kilometerlangen Zaunkonstruktionen die Piezomodule; die ausströmenden Flammen waren schräg auf den Boden und nicht wie üblich nach vorne gerichtet. Die Spinnen schienen jedoch vor dem Feuer keine Angst zu haben, im Gegenteil: Zu Hunderttausenden liefen sie in die Flammen und ließen sich ohne Widerstand verbrennen. Was auf den ersten Blick jedoch an die Massenselbstmorde der irdischen Lemminge oder der sakotanischen Legionärsvögel erinnerte und die bereitstehenden Black Marines-Einheiten zu übereilten Jubelrufen verleitete, erwies sich jedoch nach wenigen Minuten als eine todsichere Strategie: Die nachfolgenden Spinnen gelangten über ihre toten Artgenossen auf die andere Seite des Zaunes, um sich dort sogleich in die Flammenhölle der mittleren Feuersperre zu stürzen.
Die Schreckwespen hatten weniger Probleme als die Haronenspinnen, den Außenposten zu erreichen, stießen aber auf den selben, erbitterten Widerstand: Mit Flammenwerfern, Gasraketen und schwerem Sperrfeuer holten die Black Marines alles aus der Luft, was keine Überfluggenehmigung hatte. Schnell waren Straßen und Dächer des Außenpostens von gegrillten und zerfetzten Schreckwespen übersät, doch der riesige Schwarm schien nicht kleiner zu werden. Immer wieder gelang es einzelnen Tieren oder kleinen Gruppen, die Soldaten direkt anzugreifen, doch die langen Stacheln fanden in den schweren Kampfanzügen nur selten Schwachstellen.

7. Juni 2480, 7:12 Uhr.
Als die letzten Feuer erloschen, gab General Marsh den Befehl zur Offensive. Auf breiter Front rammten sich Räum-, Kampf- und Flammenpanzer in das Feld, gefolgt von Raketeninfanterie und Nahkampf-Geländewagen. Die verbrannten Abwurfgebiete der Bomben waren schnell und ohne Widerstand erreicht, die rauchenden Ascheberge zeugten von der enormen, alles vernichtenden Hitze der Sauerstoffphosphoridbomben. Es dauerte keine Minute, bis an den Rändern der Ground Zeros die ersten Crags erschienen und den Aufmarsch beobachteten.
"Dark Hawks zum Briefing angetreten!" Die Stimme des Colonels klang befehlsgewohnt und passte zu der Statur und dem von Narben überzogenen Gesicht des Elitesoldaten. Sofort standen die zwölf Mitglieder der Spezialeinheit in einer Reihe und erwarteten ihre Befehle.
"Folgender Ablauf: In Kürze werden die Panzerverbände sich verteilen und nach allen Richtungen in das Feld eindringen. Wir bilden mit anderen Einheiten die Vorhut, um die Lage zu erkunden. Dazu werden wir in dem Feld etwa einen Kilometer zurücklegen und nach Fallen suchen. Sekundärauftrag ist die Eliminierung von Crags und anderen Gefahren. Es wird ausnahmslos alles getötet, was keine Erkennungsmarke trägt, aber das sollte für euch ja kein Problem sein. Noch Fragen?"
"Ja, Sir!" Ein Muskelpaket mit einer achtläufigen Minikanone trat vor. "Darf ich mit den Zwergen hinter ihnen anfangen?" Normalerweise hätte Colonel Okten das für einen Scherz gehalten, aber Bonecrusher war nicht witzig, sondern gefährlich. Okten drehte sich um und sah sofort die Gruppe von Crags, die sich neugierig auf den angrenzenden, intakten Schleimbeuteln versammelt hatten, nur 70 Meter hinter ihm. Fast gleichzeitig schienen auch die anderen Einheiten die Beobachter entdeckt zu haben, da plötzlich mehrere Dutzend Gewehre losratterten und von den meisten der Crags schon nach fünf Sekunden nur noch Pflanzenmatsch übrig war. .Waffen und Munition von Konzern-Spezialeinheiten waren auf Effektivität ausgerichtet und nicht, wie beispielsweise bei den Solartruppen, diversen interstellaren Völkerrechtskonventionen und Kriegswaffenchartas unterworfen.

7. Juni 2480, 7:22 Uhr.
"Fire Condor One an Harvester, Geschwader erreicht Zielgebiet."
"Systemcommander Sythoff an Fire Condor-Geschwader: Bombardierung einleiten."
"Zu Befehl, Systemcommander."
Sak Strömford, Geschwaderführer und Pilot von Fire Condor One, änderte den Kanal.
"Fire Condors, ihr habt die Lady gehört. Sofort Anflug auf Zielsektoren einleiten. Und dann grillen wir ein paar Sticks." Strömford steuerte seinen Bomber in eine langgezogene Linkskurve und ging dann einige hundert Meter runter. Kurz vor dem Zielgebiet öffneten sich die Abwurfschächte und der Bordcomputer übertrug die Zielkoordinaten in die Leitsysteme der Bomben. Nach einer halben Minute erfolgte der Abwurf, unspektakulär wie immer. Als die Bomben den Boden erreichten und sich pro Bomber 50 Tonnen Napalm weiträumig verteilten, war Strömford bereits wieder auf dem Heimflug zu seinem Trägerschiff "Dark Age", wo er sich mit etwas Glück wieder in seine Koje legen könnte.

7. Juni 2480, 7:33 Uhr.
Der endlos scheinende Strom von Haronenspinnen ließ nur langsam nach, rund um den Außenposten hatten sie inzwischen drei Wälle aus toten Spinnen von bis zu zwei Metern Höhe zu überwinden. Kleine Gruppen schafften es immer wieder, die große Außenmauer zu bezwingen, hatten aber keine Chance gegen die Black Marines. Die Schreckwespen waren wesentlich erfolgreicher, schafften sie es doch immer wieder, die Schützen auf den Gefechtstürmen von den Spinnen abzulenken.
Kobon tobte vor Wut. Er hatte bereits Weltraum- und Landschlachten gegen Armeen, Piraten und Rebellen geschlagen, aber noch nie waren seine Truppen von einem Gegner dermaßen zermürbt worden. Als ihn die Meldung erreichte, dass die Wespen und Spinnen plötzlich von dem Außenposten abließen und in Richtung Green City zogen, war er gleichermaßen erleichtert und beunruhigt. Kobon rief die höchste Alarmstufe aus und ließ sämtliche Divisionen außerhalb des Lagers Stellung beziehen.

7. Juni 2480, 7:36 Uhr.
Im Strategieraum der InterFood-Archologie in Green City herrschte reger Betrieb. Der Raum erinnerte an die Brücke eines Raumschiffes, war aber wesentlich größer: 120 Ingeneure, Offiziere, Wissenschaftler und Soldaten saßen an Terminals oder VR-Workstations und standen in ständigen Kontakt zu dem Außenposten Harvester, Bodentruppen, Lufteinheiten und Raumkreuzern im Orbit. Auf einen großen Tisch in der Mitte des Raumes wurde eine Karte von Green City, des Außenpostens und aller Militäreinheiten und Feindbewegungen projiziert. Systemcommander Sythoff und einige Bataillonscommander standen um den Tisch herum und beobachteten die Computerauswertungen der Spähschiffe im Orbit. Die Bombardierung hatte riesige Flächen in den als aggressiv geltenden Stickgebieten zerstört, aber jetzt waren diese Gebiete wieder von den Sticks besetzt, als hätte das Napalm nie den Boden erreicht. Es kam noch schlimmer: Abermilliarden von Auslegern begannen gleichzeitig ihr Wachstum und durchbrachen unterirdisch in einer bei Pflanzen nie beobachteten Geschwindigkeit das trockene Erdreich mit dem Außenposten als gemeinsamen Fluchtpunkt. Billionenfach befreiten sich die jungen Sticks aus dem Boden und wuchsen einige Zentimeter in die Höhe, als wollten sie sich orientieren und ihren Ausleger über die Zielrichtung informieren.
Sythoff und ihre Offiziere sahen diese Entwicklung zwar in einem viel größeren Rahmen, doch auch in der nüchternen Computergrafik verlor das enorme Wachstum nicht ihren Schrecken: Die grüne Fläche, welche die Sticks darstellte, fraß große Gebiete der gelben Fläche, also der bereits abgeernteten Gebiete. Mehrere Dutzend kleiner Panzer-Icons verschwanden, als das gefräßige Grün sie erreichte. Nach kurzer Zeit wurde das Stickfeld jedoch langsamer: Der Außenposten war auf einer Ebene aus massivem Fels angelegt worden.

7. Juni 2480, 7:40 Uhr.
Die Mammutharonen waren in Bewegung, schienen sich aufzubäumen und sich befreien zu wollen aus ihrer Existenz als passive, machtlose Giganten. Es begann unspektakulär mit einen einzelnen Baum, dem es gelang, seine weitläufigen Wurzeln aus dem Boden zu ziehen. Die ersten Bewegungen ohne feste Verbindung zum Boden wirkten unbeholfen, gerade so wie bei einer neugeborenen Giraffe, die sich mühsam aufrichtet und die ersten Schritte in ihr neues Leben übte. Doch die Harone beherrschte ihre neugewonnene Mobilität ungemein schneller als ein Tierbaby und bewegte sich trotz ihrer enormen Größe geschickt zwischen ihren standortgebundenen Artgenossen hindurch mit Bewegungen, die man nur einem Mischwesen aus Tintenfisch, Schlange und Spinne zuschreiben konnte.
Als die Harone den Waldrand erreichte, war sie längst nicht mehr allein: Mehr und mehr Haronen folgten ihrem Beispiel, befreiten sich aus dem Boden und bewegten sich ebenfalls, wie einem unhörbaren Ruf folgend, in Richtung des Außenpostens.

7. Juni 2480, 7:42 Uhr.
Eine halbe Stunde nach Beginn der Offensive hatten die Truppen unter General Marsh mehrere hundert Hektar der Schleimbeutelzone unter ihre Kontrolle gebracht, die vereinzelten Crag-Angriffe waren dank überlegener Feuerkraft kaum der Rede wert. Schnell waren PG-Nester gebaut, Stacheldraht gelegt und Minen ausgeworfen: Ein schmaler Weg zwischen den Beuteln war freigesprengt und zu einem unüberwindlichen Todesstreifen ausgebaut worden. So glaubte man zumindest.
Der Angriff erfolgte aus dem Hinterhalt und so schnell, dass nur die wenigsten rechtzeitig reagieren konnten. Der Stacheldraht reckte sich zwar mehrere Meter in die Höhe, doch bis jetzt hatte man die Sprungkraft und die Tollkühnheit der kleinen Wesen völlig unterschätzt. Über die gesamte Länge der provisorischen Grenze sammelten sie sich zu Millionen, hüpften von Schleimbeutel zu Schleimbeutel oder rannten unverletzt durch das Widrigras, um dann mit enormem Sprüngen den Stacheldraht zu überwinden. Einige Tausend wurden zwar von Minen zerfetzt oder verfingen sich im Stacheldraht, um dann mit Plasmasalven beseitigt zu werden, doch nach nur wenigen Minuten hatten bereits etliche zehntausend das Hindernis überwunden, um sich sofort auf die wild um sich feuernden Soldaten zu stürzen.

"Koloniekriege des 25. Jahrhunderts", erschienen 2532 im Spacebattle-Verlag, Seite 873:
"Wo Masse gegen Feuerkraft steht, ist der Ausgang eine Frage der Munition. Das Nachschubcorps des CMC-Militärs war zwar nicht gerade für Sparsamkeit bekannt, doch für die Niederlage der CMC-Truppen am 7.6.2480 in der Liquid-Offensive gegen die Crags während des floranumischen Krieges war erwiesenermaßen die Fehlplanung eines CMC-Nachschuboffiziers verantwortlich, welcher ein Dossier des CMC-Geheimdienstes falsch interpretierte (2495 stellte sich heraus, das jenes Geheimdienstdossier selbst fehlerhaft war, woraufhin der 2480 exekutierte Offizier rehabilitiert wurde) und den Truppen deshalb nicht ausreichend Munition zuteilte. Für die 5.000 Soldaten im Fronteinsatz waren 10 Millionen Schuss veranschlagt worden (2.000 Schuss pro Soldat), was bei einem Ansturm von etwa 50 Millionen Crags in der ersten Angriffswelle nicht lange ausreichte. Panzer und schweres Gerät konnten zwar die Niederlage um etwa eine halbe Stunde hinauszögern, wurden aber wegen Munitionsmangel spätestens während der zweiten Angriffswelle zerstört. Die taktische Lebenserwartung eines regulären Soldaten betrug während der ersten Angriffswelle 28 Sekunden, für Elitesoldaten 47 Sekunden. In der zweiten Angriffswelle halbierten sich die Überlebenschancen."

7. Juni 2480, 7:56 Uhr.
Was von den NACAP-Angestellten in "Domination" zunächst nur als leichtes Vibrieren wahrgenommen wurde, schwoll in nur einer halben Minute zu einem ohrenbetäubenden Donnern an, dessen Erschütterungen auch den letzten Mann aus seinem Bett warfen. Während sich die meisten Bewohner schnell anzogen oder auf den firmeneigenen Kabelkanälen nach einer Erklärung für die Ruhestörung suchten, wurden die Abwehrkanonen des Lagers aktiv und verfeuerten 300 mm-Geschosse mit einer Intensität, als gelte es den Leibhaftigen persönlich aufzuhalten.
Auch außerhalb des Außenpostens, ungeschützt von der großen Außenmauer, meterhohen elektrischen Zäunen, Feuersperren und anderen Abwehrmechanismen, wurde das Verteidigungsfeuer wahrgenommen, hier jedoch lag der Vergleich "wie ein Tropfen auf dem heißen Stein" weit näher an der Realität dran.
Mehrere Tausend Black Marines, deren vorgeschobene Verteidigungsposten von den Haronenspinnen wortwörtlich überrannt wurden, hatten sich wegen schwerer Verluste noch nicht neu formiert und wurden deshalb von den angreifenden Mammutharonen überrascht. Das Vibrieren des Bodens und anschwellende Donnern hatten sie zunächst für ein Erdbeben gehalten.
Als die Soldaten die Gefahr erkannten und das Abwehrfeuer eröffneten, war es bereits zu spät. Die mehreren Hundert Kampfpanzer, schweren Plasmageschütze und Raketeninfanteristen in Exoskeletten könnten zwar während des halbminütigen Kampfes etwa zwei Dutzend der pflanzlichen Spinnen-Oktopus-Hybriden in Stücke sprengen oder in Brand setzen, waren wegen Munitionsmangel jedoch schnell beseitigt.

7. Juni 2480, 7:59 Uhr.
Der erste Haronengigant erreichte "Domination" und widerlegte das Märchen von der Überlegenheit der Menschen über die Pflanzen. Trotz Abwehrfeuer aus einem Dutzend Kanonen verschiedener Kaliber brach der erste 200-Meter-Killer durch elektrische Zäune, Flammensperren und Minengürtel, um mit infernalischer Wut sämtliche feuerspuckenden Maschinen in unbrauchbare Einzelteile zu schlagen. Bewegungsabläufe und Körperform schienen einen Skorpion zu imitieren, wenn auch einen Skorpion, der in der Nacht zuvor noch ein Baum war. Auch die nachrückenden Haronen schienen sich auf bestimmte Bewegungsformen festgelegt zu haben, darunter sehr häufig der Skorpion, die Spinne, der Tausendfüssler und die Echse. Die Evolution der Haronen war in Bewegung, den viele Exemplare hatten bereits Scheren, Stacheln, Augen, Gelenke und zahnbewehrte Fressöffnungen mit schlechten Atem entwickelt.
Während mehr als ein Dutzend hochentwickelter Mammutharonen den Außenposten systematisch zerstörten und sich gleichzeitig der Angriffe der letzten Tausend Black Marines-Infanteristen erwehrten, war auf Seite der Menschen der Ausnahmezustand ausgerufen worden: Mehrere Tausend Arbeiter, welche in den letzten Tagen nicht wie viele andere den Außenposten oder Planeten verlassen hatten, versuchten die letzten Transport- und Passagiermaschinen zu stürmen. Auf dem kleinen Landeplatz standen zwei SW-290-Raumgleiter der Shuttle-Gesellschaft "Galaxy Express", vier große SW-500-Transportmaschinen von "Space Mail" und zwei Truppentransporter der Black Marines. Unter den Tausenden von Menschen waren erbitterte Kämpfe um die letzten Plätze ausgebrochen, mit Messern, Äxten und Schusswaffen kämpfte jeder gegen jeden; nur die Black Marines konnten ihre Maschinen mit Hilfe ihrer Feuerkraft gegen den Ansturm der Verzweifelten verteidigen. Die zwei SW-290 waren schnell voll, dennoch versuchten weiterhin mehrere Hundert Menschen, durch die noch offenen Türen in die Raumgleiter zu gelangen. Fast gleichzeitig kamen einige Menschen, vermutlich waren es Soldaten, auf die Idee, den Ansturm mit Schnellfeuergewehren und Splitterpistolen zu bekämpfen. Die dicht gedrängten Menschenmassen vor den vier Passagiereingängen der zwei Raumschiffe flüchteten in Panik, als die ersten direkt an den Luken entweder von Gewehrsalven zerfetzt oder mit Delta-Splittern durchsiebt wurden. An den Eingängen mit den Splitterpistolen waren, im Gegensatz zu denen mit den Schnellfeuergewehren, keine weiteren Schüsse in die Menge nötig, da das unüberhörbare Summen (welches die Betriebsbereitschaft anzeigt) der Shrab-77 genügte, um den lauernden Mob außerhalb der tödlichen Entfernung von dreißig Metern zu halten.
Die Türen der Maschinen schlossen sich, die Treibwerke zündeten und die Raumgleiter hoben fast gleichzeitig senkrecht in den dunklen, nebligen Himmel ab. Plötzlich stürmte aus dem Nebel eine Skorpion-Harone auf das Flugfeld und schlug eine fast ausgebildete, dreißig Meter lange Schere in das Cockpit eines Raumgleiters. Die Maschine brach in der Mitte auseinander, das Heck mit den Flügeln prallte gegen die andere Passagiermaschine und riss sie zu Boden, der Bug wurde von der Schere weggeschleudert und stürzte auf zwei der SW-500-Transportmaschinen. Schnell wurden Teile des Rollfeldes zu einem Flammenmeer, dessen Gefräßigkeit rasch auf den Hangar und den angrenzenden Fuhrpark übergriff und einige dort gelagerte Treibstofffässer zur Explosion nötigte. Unter den Flüchtlingen brach Panik aus, kopflos rannten sie in alle Richtungen davon, vorzugsweise jedoch von den Feuern und dem Riesenskorpion weg. Dieser hatte inzwischen begonnen, nach den flüchtenden Menschen zu schnappen, um sie in der Mitte zu zerteilen. Bei der Verfolgung einer größeren Menschengruppe rammte er mit einer spinnenähnlichen Harone zusammen, welche gegen einen nur leicht gepanzerten Wohnkomplex geschleudert wurde und einige hundert Arbeiter in den Trümmern begrub. Ein Black Marine feuerte eine Jihad-22-Rakete ab und traf eines der Beine, welches von der Explosion etwa in der Hälfte zertrennt wurde. Nur Sekundenbruchteile später übertönte eine markerschütternde Mischung aus Brüllen und Kreischen sämtliche Explosionen, Schüsse, Triebwerke, Kanonen und Schreie des Außenpostens und liess einige Menschen in der Nähe alleine des Schalldrucks wegen sterben.
Kurz darauf hoben die vier verbliebenen Maschinen ab, während die heißlaufenden Bordkanonen der Black Marine-Schiffe jede potenzielle Gefahr auf dem Boden durchlöcherten. Ein Skorpionharone stürmte heran, verfehlte einen der SW-500-Raumgleiter aber um mehrere Meter. Ohne weitere Zwischenfälle erreichten die Schiffe die Orbitflotte und überließen die Hinterlassenen der Zerstörungswut der mutierten, amoklaufenden Waldbewohner.

7. Juni 2480, 8:03 Uhr.
Eine Weile sah es so aus, als wäre der Vormarsch der Stickausleger auf "Harvester" beendet. Fernaufklärung und Drohnen hatten zuvor den Stop aller Stickaktivitäten gemeldet. Kurz darauf zogen Nebelschwaden auf, die Sicht fiel schnell auf nur wenige Meter. Nebel war hier nichts Ungewöhnliches, aber dieses Mal lösten einige Sensoren der Wetterstation Alarm aus: Der Nebel enthielt große Mengen von Psylocorobin, ein psychoaktiver Bestandteil der Psylosusbäume. Der sofort ausgelöste Bio-Alarm verhinderte zwar schlimmeres, doch mehr als die Hälfte der Bewohner des Außenpostens hatten bereits die Nebelschwaden eingeatmet und kroch sabbernd über die Straßen der dunklen Stadt.

7. Juni 2480, 8:11 Uhr.
Die Dunkelheit der Nacht hatte die Dämmerung des Morgens abgelöst, doch wegen der aufziehenden Regenwolken wollte es nicht wirklich hell werden. Der Außenposten Liquidus war auf einem kleinen Hügel errichtet worden und thronte über der dichten Nebelschicht, welche sich in die umliegenden, sanft abfallenden Täler gelegt hatte. Schleimbeutel gab es in den Tälern um Liquidus nur noch auf einigen kleinen Versuchsfeldern, wo genetisch veränderte Exemplare und andere Pflanzenarten von Geheimdienstsoldaten eifersüchtig bewacht wurden. Auf einem gegenüberliegenden Hügel im Osten stand seit Besiedelung des Planeten eine einzelne Mammutharone, deren heutige Abwesenheit jedoch noch niemand bemerkt hatte.
In dem Strategieraum des Außenpostens waren sämtliche Rechnerkapazitäten dafür nötig, die enorme Masse der näherrückenden Crags datentechnisch zu erfassen. Die verschwundene Harone war zwar von den Sensoren des Außenpostens und der Orbitüberwachung registriert worden, doch die Priorität der Meldung war zu niedrig, als dass sie es bis zu einer Datenstation geschafft hätte, um dort von einem Menschen wahrgenommen zu werden. Die Situation war jedoch auch ohne eine verschwundene Harone mehr als brenzlig: Mehrere Millionen Crags bewegten sich schnell auf den Außenposten zu, die Fronttruppen waren gänzlich verschwunden. General Marsh entsandte die letzten Panzerverbände an strategische Positionen in der Nähe des Außenpostens und in das östliche Tal, durch welches sich das Hauptfeld der Crags näherte.
Zwei Bomberstaffeln schossen über die großen, gepanzerten Hallen, die oberirdischen Bunker und die Verteidigungswälle hinweg. Die "Killin' Eagles" sollten das östliche Tal vor der Ankunft der Panzer mit Flächenbombardement belegen, "Hellfire" flogen einen nuklearen Angriff auf die dahinterliegenden Gebiete.

7. Juni 2480, 8:16 Uhr.
Obwohl es inzwischen heller geworden war, erreichte nur wenig Licht die Trümmerwüste, auf welcher sich etwa eine Viertelstunde vorher noch ein wehrhafter Außenposten befand. Die Haronen hatten ganze Arbeit geleistet und keinen Stein auf dem anderen gelassen. Das ganze Gebiet war übersäht mit schrottreifen Fahrzeugen, Panzern, Kampfdrohnen, Waffen und Tausenden von Leichen. An einigen Stellen brannten noch große Feuer, andere Gebiete waren mit einer dünnen, weißen Pulverschicht überzogen, die abgelagerten Überreste explodierter Kampfgasgranaten.
In den Bunkern hatten einige hundert Menschen überlebt, doch die meisten von ihnen waren verschüttet, verletzt oder dem Tod näher als dem Leben. In absehbarer Zeit würden sicher Rettungstruppen landen und die Überlebenden befreien, aber die kommenden Stunden oder Tage bis zu ihrer möglichen Rettung sollten für sie von Dunkelheit, Haronenspinnen und gelegentlichen Deckeneinstürzen geprägt sein.
Die Haronen selber waren in Richtung Green City weitergezogen und würden die Stadtgrenze vielleicht in den Abendstunden erreichen.

7. Juni 2480, 8:24 Uhr.
Als vor wenigen Minuten riesige Feuerbälle am Horizont aufstiegen und kurz darauf einige Lichtblitze den Himmel erhellten, brach im Liquidus-Strategieraum für einen Moment Jubel aus. General Marsh dachte kurz darüber nach, ob der die laufende Evakuierung des Außenpostens abbrechen sollte, doch der einsetzende Regen würde eine Verteidigung der Anlage weitaus schwieriger machen, deshalb war nur ein evakuierter Zivilist ein guter Zivilist.
Die Panzerverbände hatten ihr Zielgebiet gerade erreicht, als die Kommunikation mit der vorausfahrenden Kampfdrohne abbrach. Der starke Regen erschwerte die Sicht, weshalb einer der Panzer zunächst auf einen Hügel fahren musste. Von dort konnte man erkennen, dass die Drohne in siebzig Meter Entfernung von einigen Hundert Crags umzingelt war. Durch den Kommunikationsabbruch hatte sie in den Amokmodus gewechselt und feuerte wild aus allen Rohren auf die immer wieder angreifenden Crags, die sich wie Berserker auf das gepanzerte Miniauto stürzten und dort einen Schleim absonderten, der sich durch den Stahl fraß.
Die Videobilder der zerfressenen Drohne und der anschließende Angriff auf den Spähpanzer erreichte in Lichtgeschwindigkeit alle anderen Panzerkommandanten der Verbände und nur Sekundenbruchteile später auch alle Beobachter in Liquidus und Green City.
Die restlichen 49 Panzer hatten trotz heftigen Abwehrfeuers und dem Zurücklassen hunderter Minen keine Chance gegen die Angreifer. Inzwischen waren das Tal und die umgebenden Hügel mit ihnen bedeckt, zu Millionen zogen sie nach Liquidus. Vielen wissenschaftlichen Beobachtern in Green City fiel auf den übertragenen Bildern auf, dass mehr als die Hälfte der Crags einer neuen Art angehören mussten, da sie die doppelte Größe der bekannten Spezies erreichten, größere Köpfe hatten und an etlichen Stellen mit Hornplatten und Stacheln bewehrt waren. Sie waren es auch, welche die Drohne zerstört hatten und sich jetzt auf die Panzer stürzten. Einige Tausend von ihnen wurden bei der ungleichen Schlacht getötet, doch letztlich hatten die tonnenschweren, feuerspuckenden Stahlfestungen keine Chance.

7. Juni 2480, 8:26 Uhr.
Seit fast einer Stunde wurden keine Stickaktivitäten festgestellt, auch der psychoaktive Nebel hatte sich vor einigen Minuten verflüchtigt. Die allgemeine Anspannung im Strategieraum der InterFood AG hatte bereits nachgelassen, doch der gelbe Alarm blieb weiterhin aktiv. Die Systemcommanderin ließ die Stickfront keinen Moment unbeobachtet; mehrere Dutzend Aufklärungssonden waren in ständigem Einsatz und beobachteten die Sticks, die den Außenposten vollständig umschlossen hatten und an einigen Stellen nur fünf Kilometer vor den Außenmauern standen.
Sythoff war davon überzeugt, dass es noch nicht vorbei war, deshalb hatte sie alle Zivilisten evakuieren lassen und weitere Kampfverbände in Harvester stationiert. 2.500 Elitesoldaten der "Special Ground Forces" (Die SGF sind jener Truppenteil der InterFood-Streitkräfte, der Kolonien und InterFood-Eigentum gegen nichtmenschliche Angreifer verteidigt) sollten nun den Außenposten verteidigen, unterstützt von Subsonicbombern in der Luft und Kampfrobotern der Firestorm-Klasse auf dem Boden.
Gerade flogen zwei Geschwader wieder Angriffe, als die Sticks unerwartet Aktivität zeigten. Über die gesamte Stickfläche, die beobachtet wurde, wuchsen ungewöhnlich lange Sticks aus dem Boden, mehrere zehn bis hundert Meter voneinander entfernt und zehn bis zwanzig Meter lang. Sie schlugen wild in der Luft umher und schienen völlig unkontrolliert, bis sie plötzlich inne hielten, weil sie die angreifenden Flugmaschinen zu entdeckt haben schienen. Völlig steif richteten sie sich auf die Angreifer aus und folgten ihrer Flugbahn, schienen abzuwarten. Plötzlich zuckte einer der langen Sticks auf, krümmte sich mit einer Bewegung, die an eine Peitsche erinnerte und schleuderte dann ein undefinierbares Etwas mit unglaublicher Geschwindigkeit in Richtung der Bomber, die bereits ihre Abwurfschächte geöffnet hatten. Der Pilot der ersten Maschine konnte dem Geschoss nicht mehr ausweichen und wurde an der linken Tragfläche getroffen. Eine Explosion riss sie komplett ab, die Maschine stürzte sofort wie ein Stein zu Boden und verlor dabei ihre Bombenlast. Maschine und Bomben explodierten fast gleichzeitig in dem Feld einige hundert Meter hinter der nördlichen Stickfront, mehrere Tausend Quadratmeter Sticks gingen in Flammen auf.
Bevor der Rest des Geschwaders abdrehen und die Atmosphäre verlassen konnte, feuerten auch die restlichen Snipersticks - unter diesem Namen kannte man sie bald im gesamten, bekannten Universum - ihre Munition in den Himmel. Mehrere Maschinen versuchten es mit Ausweichmanövern, hatten dennoch keine Chance, denn Hunderttausende von Geschosse durchsiebten sie regelrecht in der Luft, zerschlugen sie in kleine Stücke und ließen sie in der Luft explodieren. Die Trümmer fielen über eine große Fläche verteilt in das Feld, richteten aber nur wenig Schaden an.
Im Strategieraum hatte man die Szene fassungslos beobachtet. Dieses Auftreten einer neuen Subspezies wirkte sich fatal auf die geplante Strategie aus. Sythoff hatte nicht mit feindlichem Abwehrfeuer gerechnet und statt der stark gepanzerten Geschütze die wesentlich leistungsfähigeren, aber kaum gepanzerten Plasmakanonen in Harvester stationiert.
Die Flugdrohnen wurden unerklärlicherweise nicht angegriffen. Vielleicht wollte das Stickfeld, dass die Menschen sahen, was passierte.
Und es passierte etwas. Neue Sticks wurden aus dem Boden gepresst. Nicht so lang wie die Snipersticks, aber dick wie Baumstämme. Sie erhoben sich nicht in die Luft, sondern schoben sich am Boden zwischen den Sticks bis an die Grenze des Feldes vor und beendeten ihr Wachstum.
Dann fingen die Schläuche an zu zucken und pressten etwas heraus. Viele tausend zahnbewehrte Mäuler erblickten das schummrige Licht einer düsteren Welt und krochen aus ihren Geburtsschläuchen auf den steinigen Boden, öffneten ihre drei Kiefer und schrien in die Dämmerung: Die Geburtsstunde der Stickwürmer.
Die ersten von ihnen waren nicht besonders groß, höchstens einen halben Meter Durchmesser und fünf Meter lang, aber das Stickfeld, das einigen Theorien zufolge nur die oberirdischen Ausläufer eines riesigen, unter der Erde lebenden Organismus bildet, konzentrierte fast alle Kräfte auf die Produktion größerer Schläuche und größerer Würmer.

7. Juni 2480, 8:40 Uhr.
"Sung, sieh' dir diese Dinger an!" Der Fernaufklärungstechniker Garcia McDonald zeigte auf seinen Monitor, sein Kollege neben ihm beugte sich rüber. Eine kleine Drohe mit Kettenantrieb war in die Nähe des Stickfeldes gelangt und übertrug die ersten Bilder der Stickwürmer.
"Ist ja übel. Bin froh, dass ich nicht in Harvester stecke. Was sind das für Dinger?"
"Das werden die Weißkittel noch früh genug feststellen, wenn sie erst mal ein paar Kadaver haben." McDonald sendete das Videosignal an alle Stellen, die bei einem solchen Fall zu informieren waren und vergrößerte dann das Bild.
"Erinnert mich an die Sandwürmer aus Dune, die waren aber viel größer."
"Was ist Dune?", wollte Sung wissen.
"Ein Film aus dem zwanzigsten Jahrhundert."
"2D?"
"Selbstverständlich."
"Ich zieh' mir keine Antiquitäten rein."
"Den gibt's bestimmt auch für VR."
"Das ist nicht das selbe wie bei einem Film, der direkt für VR gedreht wurde."
"Du verpasst aber was."
"Ist mir egal. Ich hab eine Liste mit 1.746 VR-Filmem, die ich in meinem Leben noch sehen will. Wenn ich jetzt noch mit antiken 2D-Filmen anfange, werde ich ja nie fertig."
"Dune gibt es auch als Buch. Sechs Bände."
Das laute Lachen der Männer schallte durch den Raum und ließ einige Kollegen von ihren Monitoren aufsehen, der böse Blick eines in der Nähe sitzenden Vorgesetzten sorge aber schnell wieder für Ruhe.

7. Juni 2480, 8:45 Uhr.
Im hellen Licht der Suchscheinwerfer und der Leuchtraketen waren zehntausende, hundertausende von Crags zu erkennen, die alle selbe Ziel hatten: Liquidus, Heimat der schleimbeutelaussaugenden Erntemaschinen. Das Abwehrfeuer der CMC-Streitkräfte war schlagkräftig und in seiner Intensität denen der Verteidiger von Domination oder Harvester ebenbürtig, jedoch schien hier alles von den Munitionsvorräten abzuhängen. Die Crags waren zwar sehr widerstandsfähig, doch dem ständigen Beschuss durch Granaten, Raketen, fünfzig Meter lange Phosphorflammen und vielen anderen menschlichen Erfindungen hatten sie nicht viel entgegenzusetzen. Einige hundert nutzen Unebenheiten des Geländes aus und versteckten sich hinter Felsen, Hügeln oder in Bombentrichtern, doch alle anderen liefen wie Lemminge schnurstracks in ihr Verderben. Sie hätten auch nicht umkehren können, wenn sie es gewollt hätten, da hinter ihnen viele Millionen nachdrängten, die wie magisch von der leuchtenden und lärmenden Festung in der Dämmerung angezogen wurden.
Einige Zeit sah es so aus, als sei eine Art natürliches Gleichgewicht eingetreten: Crags kommen in Reichweite der Waffen - Menschen töten sie. Dann jedoch geschah etwas unvorhergesehenes, das aus dem massakerähnlichen Stellungskrieg einen Siegeszug der Crags machen sollte, nämlich das Auftauchen der bisher kaum vermissten Mammutharone: Jene Harone, welche bis vor kurzem auf dem Hügel im Osten stand und jeden Morgen einen langen Schatten auf den Außenposten warf, hatte jetzt an ihrem 200-Meter-Körper unzählige, lange Beine und vorne an langen Armen zwei mächtige Scheren; ein grauenhaftes Mischwesen aus Spinne, Tausendfüssler und Krebs.
Der Gigant stampfte mit seinen unzähligen Beinen durch die Massen von Crags und zerquetschte etliche von ihnen. Sofort konzentrierte sich das gesamte Abwehrfeuer der Ostseite auf den neuen Feind, der aber unglaublich schnell das Haupttor erreichte, es mit mehreren kräftigen Schlägen seiner Scheren aus den Angeln hob und sich dann auf alles stürzte, was aufblitze und Krach machte. Gleichzeitig heulte das Signal zur Evakuierung auf, für die Soldaten war es jedoch das Signal der Niederlage.
Die Crags erkannten ihre Chance sofort und begannen ihren Sturm auf das Haupttor trotz andauernden Beschusses. Zu tausenden ergossen sie sich in das Gebiet innerhalb der Mauern und stürzten sich auf jeden, der seine Angreifer nicht sofort töten konnte. Hunderte Soldaten rannten durch die Straßen in Richtung der startbereiten Raumgleiter, doch die meisten ließen in Hoffnung auf eine schnellere Flucht ihre schweren Waffen zurück und hatten mit Pistole und Kampfmesser keine Chance gegen die Übermacht. Von den viertausend Soldaten konnten 247 evakuiert werden, der Rest wurde von der Harone zerschmettert oder von den Crags lebendig gefressen. Einige Hundert versteckten sich in Bunkern oder Kellern, doch auch sie wurden innerhalb der nächsten zwei Tage von den Crags gefunden und getötet.

7. Juni 2480, 9:04 Uhr.
Auf dem Schreibtisch des technischen Kommunikationsoffiziers im dritten Sublevel des CMC-Centers in Green City klingelte das TeleCom.
"Sir, wir haben gerade den Kontakt zu Liquidus verloren."
"Haben sie den Fehler bereits gefunden?"
"Nun, Sir, technisch gesehen ist der Außenposten aus unserem System verschwunden. Sämtliche Funk-, Kabel-, Satelliten- und Laserverbindungen sind gleichzeitig abgebrochen."
"Das Problem ist bekannt. Sie und ihre Leute werden heute nicht mehr benötigt, gehen sie auf ihre Quartiere und reden sie mit niemandem darüber." Dann legte er auf und informierte seinen Vorgesetzten, der wiederum seinen Vorgesetzten informierte.

7. Juni 2480, 9:33 Uhr.
Während die kleinen Würmer bereits in die Richtung des Außenpostens krochen und die Snipersticks vereinzelte Salven in die selbe Richtung feuerten, brach an mehreren Dutzend Stellen rund um Harvester der Boden auf, um wahre Bestien auszuspeien: Riesige Stickwürmer mit Durchmessern von fünf, zehn, vielleicht über zwanzig Metern Durchmesser und fünfzig bis zweihundert Meter lang. Einige hundert von ihnen krochen aus den Löchern und folgten den Spuren ihrer kleineren Artgenossen, andere orientierten sich an den gelb glühenden Geschossen der Snipersticks, welche über ihnen hinweg durch die Dämmerung (die dichte Wolkendecke war tiefschwarz geworden und ließ nur wenig Licht des gerade aufgegangenen Eta Corona Borealis hindurch) in Richtung des Außenpostens flogen, um dort krachend Mauern, Türme, Wände und Dächer einzureißen und das ein oder andere ultrateure High-Tech-Waffensystem zu zerstören.
Es dauerte nicht lange, bis ganze Hundertschaften der kleineren Stickwürmern Harvester erreichten und erste Bekanntschaft mit dem Abwehrfeuer den Menschen machten. Sythoff hatte alle verfügbaren Waffengattungen auffahren lassen, die zur Verfügung standen, um den Außenposten vor der drohenden Zerstörung zu schützen: Einfache Schusswaffen und Geschützen aller Kaliber und Größen, hochmoderne Mikrowellenstrahler, Plasmabeschleuniger, EMP-Phaser, Langstreckenflammenwerfer mit Phosphor-, Kalium-, Öl-, Napalm- und Wasserstofftanks und Unmengen von Raketenwerfern, mit Explosiv-, Hitze-, Nuklear-, Giftgas- und Säureraketen bestückt und angeblich 98-prozentiger Zielgenauigkeit. Allen war klar, dass sie keine Unterstützung aus der Luft erwarten konnten; die Snipersticks hatten den Luftraum unter ihrer Kontrolle und bewiesen, dass sie ihn verteidigen konnten.
Der Angriff der kleineren Stickwürmer kam plötzlich, aber nicht überraschend. Sie waren wesentlich schneller als erwartet, auch bewegten sie sich nicht wie Würmer, eher wie Schlangen. Und sie waren zäh, widerstandsfähiger als die meisten anderen Lebewesen, welche die Special Ground Forces in den über hundert Jahren seit ihrer Gründung auf Dutzenden von Planeten bekämpft hatten. In einer Entfernung von zwanzig bis zweihundert Metern von der großen Außenmauer entfernt wurde alles anvisiert und beschossen, was auch nur entfernt an einen Wurm erinnerte. Tausende von Raketen gingen in diesem breiten, kargen Landstreifen rund um den Außenposten nieder, die meisten von ihnen trafen ins schwarze. Geschütze und Plasmabescheuniger feuerten unentwegt und rissen große Löcher in die Erde, die mächtigen Langstreckenflammenwerfer, von den Soldaten "Drachen" genannt, erhellten die Dämmerung mit ihren gelben, roten, grünen und blauen Flammen, färbten die Erde und Steine schwarz und entzündeten alles, was hier noch brennbar war.
Die Stickwürmer mochten zäh sein, doch sie waren nicht unverwundbar, und so verbreitete sich schnell der bestialische Gestank verbrannter Stickwürmer, der in Augen und Lungen brannte und bei dem einen oder anderen Soldaten den Gedanken aufkommen ließ, dass der schwarze, brechreizartige Qualm aus dem Inneren der Würmer ihre eigentliche Waffe war.
Nur wenige Dutzend Stickwürmer schafften es so nah an die hohe Mauer heran, dass Sythoff von einem Einsatz des durchschlagkräftigen Feuerwaffenarsenals absah und stattdessen auf Nahkampfwaffen setzte: Die hundert Kampfroboter erhielten den Einsatzbefehl und wurden von ihren Piloten aus dem Stand-By-Schlaf gerissen, um in ihren Mauerabschnitten für Ruhe zu sorgen.
Die Firestorm-Klasse war das Standardmodell der Special Ground Forces und für schweres Gelände gebaut. Jedes Exemplar war 2,53 Meter groß, mit Titan-Kevlarid-Platten gepanzert und wog bei voller Bewaffnung 247 Kilogramm. Mit seinen zwei Beinen schaffte ein Firestorm zwar nur 20 km/h, doch für schweres Gelände waren Beine unverzichtbar. An den Armen waren neben zwei mächtigen Greifklauen und Werkzeugen wie Sägen und Bohrer die meisten der Waffen befestigt, darunter Hitzelaser, Schnellfeuergewehre, Läufe für Explosivgeschosse und natürlich die allseits beliebten Flammenwerfer. An Armen, Beinen und Rücken waren überall Ultrakurzraketen befestigt, nicht länger als zehn Zentimeter und mit einer Reichweite von 10 bis 30 Meter extrem gefährliche Nahkampfwaffen.
Im Kampf gegen die Würmer erreichten die Killermaschinen schnell ihre Grenzen. Mit den kleineren Exemplaren wurde sie zwar fertig; nach heftigem Beschuss waren die Würmer so erschöpft und zerfetzt, dass die Roboter sie mit ihren Hydraulikscheren schnappen und zerteilen konnten. Doch die etwas größeren Würmer knackten mit ihren kräftigen Kiefern die Panzerungen der Kampfmaschinen und zerlegten sie in wilden Kämpfen in ihre Einzelteile.
Letztlich schaffen es 15 bis 20 Stickwürmer bis zu der großen Mauer, der letzten Verteidigungslinie der Menschen. Sie setzten ihre Kiefer an und begannen mit saugenden Bewegungen, was extrem schrille Kratzgeräusche verursachte und in den Ohren schmerzte. Gerade wurden einige kleinere Plasmakanonen so umgebaut, dass man mit ihnen senkrecht die Mauer herabschießen konnte, als Sirenen aufheulten und draußen in der Dämmerung, etwa 150 Meter entfernt, die ersten wirklich großen Stickwürmer erkennbar waren.

7. Juni 2480, 9:53 Uhr.
Für einen kurzen Moment stellte sich eine trügerische Stille ein. Alle Waffen schwiegen und alle Augen blickten hinaus in die Dämmerung und beobachteten den zwanzig Meter großen, tiefschwarzen Wurm, der mit schnellen Bewegungen heranglitt. Die riesigen Schuppen kratzen über den steinigen Grund und erzeugten ein lautes und schleifendes Geräusch von aneinander reibenden Steinen. Für einen Moment hielt der Wurm inne, erhob seinen augenlosen Kopf und schien zu horchen. Ähnliche Geräusche drangen jetzt von überall aus der Dunkelheit an die Ohren der entsetzten Soldaten, weitere Würmer kamen in Sichtweite. Auch braune und graue Würmer waren jetzt zu erkennen, bei einigen wenigen glänzte das Schuppenkleid in Schein der Suchscheinwerfer. Alle Würmer hatten Durchmesser von drei bis zwanzig Meter, bei einigen konnten es sogar 25 Meter sein. Sie schienen sich rund um den Außenposten zu sammeln, gerade in Sichtweite der Menschen.
Völlig unerwartet brach plötzlich die Hölle los. Geschütze donnerten, Leuchtspurgeschosse erhellten den Himmel und Raketenschwärme zischten in einem großen Halbbogen über die Geschütze und Mauern hinweg gegen die Schuppenpanzer der Würmer oder in den harten Steinboden.
Die Stickwürmer hatten mit dem Aufdonnern der ersten Geschütze ebenfalls mit dem Angriff begonnen und glitten jetzt aus allen vier Himmelsrichtungen dem Außenposten entgegen, nahezu unbeeindruckt von den zahlreichen Explosionen und direkten Treffern, die auf ihr Schuppenkleid einprasselten. Sie kamen schnell näher und ließen sich hundert Meter vor den Mauern auch nicht von den mächtigen Flammenwerfern beeindrucken, deren Hitze die betroffenen Schuppen rötlich glühen ließ.
Bei fünfzig Metern wurde allen klar, dass sie die Würmer nicht mehr aufhalten konnten. Nicht einer von ihnen war auch nur verwundet und selbst direkte Raketentreffer in aufgerissene Mäuler konnten die betroffenen Würmer nur zu einem kurzen Innehalten veranlassen. Das schrille Kratzen der Schuppen über den felsigen Grund war lauter als die unzähligen Explosionen und das Donnern der Kanonen, als der erste Stickwurm die Mauer berührte und mit seiner Seite an ihr entlang schliff. Sie war fünfzehn Meter hoch und drei Meter dick, doch schon diese vorsichtige Berührung eines kleineren Wurmes genügte, um große Stücke herausbrechen zu lassen und mehrere Zentimeter des extrem harten Baranit-Betons abzutragen. Sofort wurde der Lärm schwächer, weil die ersten Soldaten ihr Heil in der Flucht suchten, nur wenige Sekunden später verstummten alle anderen Waffen.
Fast gleichzeitig waren etwa zwei Dutzend der größten Würmer von allen Seiten durch die Mauer gebrochen, etliche folgten ihnen. Sie griffen alles an, was sich bewegte, rissen Gebäude ein und stürzten die großen Verteidigungstürme um. Autos, Panzer, Geschütze und Erntemaschinen wurden von ihnen in kleine Stücke zerbissen oder gerieten zwischen Schuppen und Gebäudetrümmer und von diesen flachgequetscht und zu Metallstaub zermahlen. Die meisten Menschen überlebten nur wenige Minuten und wurden von herabfallenden Trümmerteilen erschlagen oder gerieten unter die Würmer, nur wenige machten Bekanntschaft mit den betonbrechenden Kiefern und stahlzerteilenden Zähnen der Giganten. Einige schafften es in die Bunker, doch auch dahin drangen die Würmer vor.
In den folgenden Stunden zogen die Würmer immer wieder über die Trümmerfelder hinweg, ebneten die Fläche und zertrümmerten mit mächtigen Schlägen ihrer Körper alles, was größer als ein Fahrzeug war. Nach ihrem Abzug war nicht mehr übrig, das Menschen hätten gebrauchen können.

7. Juni 2480: Green City am frühen Nachmittag.
Die Meldungen von der Zerstörung aller drei Außenposten löste unter den Bewohnern Green Citys Panik aus. Koloniekriege waren zwar nicht ungewöhnliches mehr, doch bis zu diesem Tage war es üblich gewesen, dass die Menschen auf jedem neu besiedelten Planeten die dominierende Rasse wurden, und auch nur selten durch Krieg und Bodenschlachten. Doch auf Floranum war es den lokalen Rassen nicht nur gelungen, den menschlichen Vormarsch zu stoppen; sie hatten die Menschen vernichtend geschlagen und sich jetzt verbündet, die Menschen zurück in den Weltraum zu treiben, aus dem sie gekommen waren. Schlimmer als die bevorstehende, letzte Verteidigungsschlacht war nur die Gewissheit, dass der Feind keine intelligente, technologisch überlegene Zivilisation war, sondern Pflanzen; Pflanzen, die zu Kriegern wurden, um ihren Planeten zu verteidigen.
Die seit gestern laufenden Vorbereitungen waren bereits weit voran geschritten: Die Zivilisten waren fast vollständig evakuiert und zusätzliche Soldaten stationiert worden; schweres Kriegsgerät war gelandet und aufgestellt. Außerhalb der Mauern hatten Spezialfahrzeuge mehrere Millionen Landminen ausgelegt, innerhalb der Mauern waren alle Waffen auf die Mauern gerichtet.
Bei einer Dringlichkeitssitzung des Sicherheitsrates am Mittag war beschlossen worden, die Stadt mit Waffengewalt zu verteidigen, doch an einen Sieg mochte niemand so recht glauben, was jedoch keiner offen zugab. Alle hatten gesehen, wie die Außenposten trotz erbitterten Widerstandes untergegangen waren, doch eine sofortiger Rückzug war schon aus Versicherungsgründen unmöglich. Die Schäden gingen bereits jetzt für die beteiligten Konzerne im Milliardenhöhe, doch die Versicherungen würden nur zahlen, wenn der Standort mit militärischen Kräften verteidigt werden würde (Ein Sieg war nicht nötig, das war der Trick bei der Sache).
Diese Art von Versicherungspolice lohnte sich nur für große Konzerne mit eigenen Streitkräften und verhinderte, dass die Versicherungsgesellschaften große Trümmerwüsten ohne zukünftigen wirtschaftlichen Nutzen bezahlten mussten, oder dass große Objekte an den Feind (und damit meist auch eine andere Versicherungsgesellschaft) fielen. NACAP hatte im Jahr 2468 auf dem Planeten Carabon mehrere Kontinente nuklear verseucht und über 30.000 feindliche Soldaten getötet, um sich die Versicherungsansprüche auf die eigenen Verluste zu sichern.
Die Versicherungsverträge waren jedoch nicht der ausschlaggebende Grund für Kobon, Sythoff und Marsh, Widerstand zu leisten. Allen dreien drohte nach den Konzernmilitärgesetzen ihrer Arbeitgeber ihre sofortige Exekution, würden sie Konzernbesitz trotz der Verfügbarkeit einsatzbereiter Streitkräfte nicht verteidigen.

Die Struktur von Green City
Die Lage der Gebäude von Green City wird bestimmt von den Straßen zu den Außenposten. Die West-Ost-Straße führt von Harvester nach Liquidus und trifft sich in Green City mit der zum NACAP-Außenposten führenden Nordstraße. Die Wege treffen sich bei einer großen Kreisstraße, in dessen Mittelpunkt ein großer, schwarz-glänzender Turm errichtet wurde, von den Kolonisten und Soldaten einfach "der Turm" genannt. Dort befinden sich in 1.200 Meter Höhe eine Aussichtsplattform und teure Kommunikationselektronik, die wenigen Fenster wurden als Schießscharten für Scharfschützen angelegt. In direkter Nähe des Turms, direkt an der Nord- und der Weststraße gelegen, befindet sich das "Green City Building", einziger Besitz der Solarallianz auf Floranum und Sitz des Sicherheitsrates. Gegenüber des Green City Building, auf der anderen Seite der Nordstraße, befinden sich die Wasservorräte der Stadt in Form eines Sees, gespeist durch unterirdische Quellen. Richtung Süden führt eine kurze Straße zwischen den zum Raumhafen gehörenden Gebäuden zu den Landefeldern und den zwei langgezogenen Hangars, der sich südlich des Hafens zwischen Landefeldern auf der einen, der Südmauer und den Südtürmen auf der anderen Seite befindet.
Die wichtigsten Gebäude von Green City stehen in Norden, Westen und Osten der Stadt: Riesige Firmenarchologien, die sich bis zu 1.000 Meter in die Höhe erheben, äußerlich tempelgleich und dennoch bedrohlich wirkende Bauwerke. In ihrem inneren beherbergen sie gepanzerte Städte mit Privatwohnungen, Verwaltung, Fuhrpark, Kasernen, Lagerhallen, Grünflächen, Labortrakte, Flugfeldern, Hangars, Geschäfts- und Vergnügungsvierteln, Produktionsanlagen und alles übrige, das Konzernangestellte für ein bequemes Leben benötigen; die Außenwände sind überzogen mit kleinen Nischen, aus welchen bedrohlich die langen Läufe von Geschützen verschiedener Kaliber (von steckenbleibenden 50 mm bis zu leiberzerfetzenden 200 mm) hervortreten als feuerkräftige Symbole der Wehrhaftigkeit wie die Stacheln eines Kaktus. Die Verbindungsstraßen zu den Außenposten führen in Tunneln durch die Archologien, zu beiden Seiten führen weitere Tunnel zu den Fuhrparks, Sammelplätzen und anderen Bereichen.
Zwischen den Archologien befinden sich zusätzliche Wachtürme mit starken Plasmageschützen, in der Nähe des Raumhafen sind zwei aufgestellt. Hundert Meter hoch und mit dreieckigen Grundflächen, eine spitze Seite in Richtung der Mauer, sollen sie die Verteidigungslücken zwischen den Archologien und südlich des Raumhafens auffüllen.

7. Juni 2480: Green City am späten Nachmittag.
Für einige Stunden brach die dichte Wolkendecke auf und tauche die Ebene von Green City in ein fahles Licht, das aber nur wenig Erleichterung nach der langen Dämmerung und vor der nächsten Dämmerung brachte. Die ganze Stadt schien in Bewegung zu sein, doch selbst ein Beobachter auf der Spitze des Turmes konnte das volle Ausmaß nur erahnen. Er sah Hunderte von Raumschiffen, die auf dem Raumhafen oder in einer der großen Konzerngebäude landeten und wieder abhoben. Unermüdlich brachten sie Soldaten und Kriegsgerät von den großen Schiffen in der Umlaufbahn auf den Planeten und nahmen bei ihren Rückflügen Zivilisten, Rohstoffe, Computer, Fahrzeuge und alles andere mit, das teuer genug war, um Frachtraum dafür bereitzustellen. Unzählige Fahrzeuge fuhren durch die Stadt, verschwanden in Gebäuden oder hielten an, um Soldaten in schwarzen, grauen, grünen, roten und beigen Kampfanzügen und Uniformen auszuspucken. Zu Tausenden wuselten sie über die freien Flächen zwischen den Gebäuden, brachten Geschütze in Stellung, hoben Gräben aus und verlegten Stacheldraht.
So geschäftig, wie es innerhalb der großen Außenmauern zuging, so still war es vor ihnen. Der große Minenring um die Stadt, bis zu zwei Kilometer breit, war an einigen Stellen von Stacheldraht durchzogen; doch dieser war lediglich für die Orientierung der vielen Feuerleitoffiziere gedacht und würde höchstens einige unvorsichtige Crags aufhalten.
Am Horizont, weit draußen vor der Stadt, war bereits das drohende Unheil zu erkennen. Im Osten hatte sich die Dämmerung wieder ausgebreitet, dennoch war eine große, breite, sich bewegende Fläche zu erkennen, die sich langsam näherte; Millionen marschierender Crags. Auch im Norden war es eine schwarze Fläche, doch die Haronen schienen in der Ferne wie eine unheilvolle, schwarze Wand mit unzähligen Fangarmen. Im Süd-Westen waren längliche Formen zu erkennen, die langem Körper der Stickwürmer. Doch nicht nur die Würmer hatten durch die zerklüfteten Täler entlang der Weststraße die Ebene von Green City gefunden; auf einigen Hügeln links und rechts der Straße waren auch Ausläufer des großen Stickfeldes zu sehen, und mit einem guten Fernglas konnte jemand mit Entfernung bereits einige Snipersticks erkennen, die geduldig zu warten schienen.

7. Juni 2480: Green City am frühen Abend.
Wenige Stunden vor Sonnenuntergang hüllte eine dunkle Wolkendecke das Land wieder in Dämmerung, doch tausende Scheinwerfer erhellten die Stadt, die sich noch immer auf den Krieg vorbereitete. Die Evakuierung der Menschen war abgeschlossen, die des Materials lief noch. Alle Geschütze waren aufgestellt und Munitionslager errichtet worden, unzählige Schützengräben zogen sich durch Stadt. Nervöse Unruhe machte sich unter den Soldaten breit; wer auf den Wehrgängen der Mauer stand, starrte unentwegt in die Dämmerung hinaus, die immer wieder von den Lichtkreisen der Suchscheinwerfer erhellt wurde. Die anrückenden Horden wurden mit Infrarotkameras genau beobachtet, doch sie waren langsamer geworden und schienen erst bei voller Dunkelheit angreifen zu wollen.

7. Juni 2480: die Ostseite von Green City nach Sonnenuntergang.
Irgendwann zwischen 21 und 22 Uhr ging die Sonne unter, den genauen Zeitpunkt hatte niemand bemerkt. Durch einen schmalen, wolkenfreien Streifen am westlichen Horizont erhellte sie die Stadt für wenige Minuten mit rotem Licht und tauchte dann hinter einer mit Sticks bewachsenen Hügelkette unter. Aus Dämmerung wurde schnell Dunkelheit, während die Wolkendecke sich verdichte und der Wind grauenhafte Schreie aus dem Osten herantrug.
Die Crags hatten auf diesen Moment gewartet und stürmten heran, auf breiter Front dem Lauf der Straße folgend. Fünf Kilometer mochten es sein, die schnell weniger wurden und bis auf das große Minenfeld vor der Mauer keinen nennenswerten Widerstand aufwiesen. Die ersten Geschütze feuerten biologische und chemische Gasgranaten in die Massen und töteten mehrere hundert, doch die übrigen ließen sich davon nicht beeindrucken. Etwa zwei Kilometer weiter erreichten sie das unsichtbare Minenfeld, an dessen Rand sie, immer noch in großen Gruppen laufend, mehrere Dutzend Minen fast gleichzeitig auslösten. Steine und Leichenteile wurden weit geschleudert, warfen einige Crags zu Boden und fielen auf Minen, welche auch wieder explodierten. Die Crags blieben einen Moment stehen und schienen sich zu beraten; ein durcheinander aus Zischen, Kreischen, Krächzen, Gurgel- und Schnalzlauten war bis zu den Mauern zu hören. Dann schienen sie fertig zu sein, denn einige lösten sich aus den Gruppen und gingen allein ins Feld, wo sie nach nur wenigen Schritten zerfetzt wurden. Weitere folgten und wurden getötet, doch mussten sie immer mehr Schritte laufen, und eine Mine zu finden. Scharfschützen fingen an, die Minenscouts vorher zu erschießen, woraufhin die Crags in größeren Gruppen das Minenfeld stürmten und so nach wenigen Minuten eine breite Schneise bis zu der Mauer hatten.
Die Verteidigung war auf Hochtouren angelaufen und hatte bereits viele tausende tote Crags gefordert, doch diese stürmten noch immer vorwärts. Sie begannen, die Leichen ihrer Gefallenen aufzuheben und sich mit ihnen gegen den Beschuss zu schützen. Sie trugen sie so weit wie möglich nach vorne, um sie direkt vor der Mauer zu einem Berg aufzuschütten, um die Mauer zu überwinden; und sie waren wesentlich effektiver als die Haronenspinnen bei ihrem Angriff auf Domination. Die Soldaten warfen Granaten auf den Berg und versuchten, ihn auseinander zu sprengen, Flammenwerfer zündeten ihn an mehreren Stellen an. Der schwarze, aus den Leichenbergen aufsteigende Qualm stank entsetzlicher als verbranntes Fleisch, doch die unzähligen, herbeigetragenen Leichen (und ihre Träger) erstickten die Feuer und füllten die Sprenglöcher wieder auf, sodass der Leichenberg auf einer Länge von je etwa einem Kilometer zu beiden Seiten des Osttores unaufhörlich wuchs.
Es dauerte nicht lange, bis die ersten Crags die Oberkante der Mauer erreichten und hinübersteigen konnten, um dort sofort von Schnellfeuergewehren durchsiebt zu werden, doch schnell wurden es mehr. Als den ersten Geschützen auf der Mauer die Munition ausging, wurden die Wehrgänge geräumt und die Crags von den Soldaten in den Schützengräben am Boden unter Beschuss genommen. Unzählige Maschinengewehre ratterten in die Nacht und die Mündungsfeuer tauchten die ganze Umgebung in ein gespenstisches Flackern, doch den Vormarsch der Crags konnte das nicht mehr aufhalten. Durch den Wegfall der Mauerverteidigung waren die Überlebenschancen für die Millionen vor der Mauer merklich gestiegen, und jeden von ihnen drängte es über die Leichen auf die Mauer, um auf der anderen Seite herunterzuspringen und die Gräben zu erreichen. Einige von ihnen hatten sogar gelernt, herumliegende Pistolen und Gewehre zu bedienen.

7. Juni 2480: die Westseite von Green City nach Sonnenuntergang.
Bis zum Sonnenuntergang hatten die Stickwürmer fast bewegungslos vor den Hügeln am westlichen Horizont gelegen, mit Anbruch der Dunkelheit wurden sie jedoch aktiv und waren schnell näher gekommen. Den Kopf bildeten fünf sehr große Würmer, zwei Schwarze, zwei Graue und ein Weißer, hinter ihnen wimmelte es von hunderten Würmern aller Größen und Farben und das laute Kratzen geschliffenen Gesteins hallte von den Außenmauern und den hohen Wänden der InterFood-Festung wider. Die vordersten waren zwei Kilometer von der Grenze des Minenfeldes entfernt, als die Geschütze losdonnerten und die erste Granaten und Raketen zwischen den Würmern explodierten, ohne Schaden anzurichten. Dann folgte das Gegenfeuer: Unzählige Lichter flammten am Horizont hinter den Stickwürmern auf und kamen schnell näher. Ein Bombardement von brennender, zähflüssiger Masse ging über dem östlichen Gebiet von Green City nieder, etliche Soldaten wurden von den Beinen gerissen und lebendig verbrannt. Viele Geschütze, Fahrzeuge und Schützengräben wurden unbrauchbar, die gepanzerte Fassade des InterFood-Sitzes brannte an unzähligen Stellen.
Explosionen vor der Mauer lenkten die Aufmerksamkeit von den Bränden und dem anhaltenden Beschuss wieder auf die Stickwürmer: Diese hatten inzwischen das Minenfeld erreicht und pflügten hindurch, ohne sich von den ständigen Explosionen unterhalb ihrer mächtigen Kiefer beeindrucken zu lassen. Die Verteidiger feuerten mit allem, was noch feuern konnte, und tatsächlich wurde einer der vorderen, grauen Würmer so schwer getroffen, dass er einfach liegen blieb, doch die anderen schien das erst recht wütend zu machen. Der weiße Wurm richtete sich ein Stück auf und stieß einen ohrenbetäubenden Schrei aus (welcher unmöglich aus dem Inneren des Wurms kommen konnte, eher von einem speziellen Lautorgan erzeugt wurde), dann tauchte er in die Feuerwände dreier Flammenwerfer ein und rammte gegen das Westtor. Die schweren Stahlplatten verbogen sich, brachen aber nicht. Wieder richtete der Wurm sich auf und schob seinen Kopf über das nur 20 Meter hohe Tor, zog seinen Körper nach und zerdrückte es mit seinem Gewicht.
Das bis jetzt heftige Abwehrfeuer von der Wehrgängen erstarb plötzlich, die Soldaten flüchteten in Todesangst von der Mauer. Nicht zu früh, denn nur Sekunden nach dem Brechen des Tores erhoben sich die anderen drei Würmer über die Mauer und schlugen tiefe Schneisen in sie, die über den Stein schleifenden Schuppen vergrößerten die Löcher, bis sie fast auf den Boden reichten.
Innerhalb der Mauern war der Widerstand gegen die Würmer nicht geringer, doch schneller niedergeschlagen. Schützengräben und Panzerfahrzeuge boten keinen Schutz, feuernde, schwere Waffen wirkten eher als Lockmittel denn als Abschreckung und wurden sofort angegriffen. Weitere Stickwürmer drangen durch die zerstörten Mauern ein und folgten entweder dem weißen Wurm, der in den Straßentunnel der IF-Archologie eingedrungen war und sich von dort einen Weg durch die dünnen Wände in das Innere des Gebäudes verschaffte; den schwarzen Würmern, die der Mauer nach Norden und Süden folgten oder dem grauen Wurm, welcher das Ende des InterFood-Tunnels erreicht hatte und sich in Richtung des Turmes vorkämpfte.

7. Juni 2480: die Nordseite von Green City nach Sonnenuntergang.
Aus dem Norden kam ein gefahrverheißendes Summen, welches immer lauter wurde und das Herannahen der Schreckwespen ankündigte. Unter den Angreifern konnte einzig Ihnen das Minenfeld nichts anhaben, weshalb sie sich sofort auf die Verteidiger auf den Wehrgängen und an den Geschützen des NACAP-Komplexes stürzten. Zwei Dutzend Flammenwerfern erwarteten sie und ließen Tausende von ihnen brennend zu Boden stürzen, doch die große Masse machte einen Bogen um die Flammen und fiel über die inneren Gebiete von Green City her.
Als die ersten Schreckwespen brennend zu Boden fielen, erreichte ein breites Feld mehrerer zehntausend Haronenspinnen das Minenfeld. Wie die Crags stürmten sie auf die Mauern zu und sprengten sich zu Tausenden in die Luft, während sie aus unzähligen Läufen beschossen wurden und in der Nähe der Mauer brennende Wespen auf sie herabstürzten.
Kaum war das Minenfeld von der Vorhut durchschritten, als der eigentliche Angriff erfolgte: Zweitausend Mammutharonen und mehr als das Tausendfache an Haronenspinnen zogen in einem Platzregen von Raketen und Granaten bis vor die Mauern der Stadt, wo etwa 30 Mammutharonen in die Feuerwände eintauchten, um brennend und unter entsetzlichen Schreien, mehr Wut als Schmerz, mit ihren Gliedmaßen auf die Flammenwerfer und Kanonen auf der Mauer einzuschlagen. Schnell hintereinander verschwanden die Flammenzungen, doch einige Tanks der Flammenwerfer explodierten und zerbröselten etwa fünfzig Meter der Mauer zu Kieselsteinen; Menschen wurden zu Asche und Waffen zu abstrakten Kunstwerken. Drei Mammutharonen wurden fast hundert Meter brennend durch die Luft geschleudert: Eine Spinnenharone mit sechs Beinpaaren fiel auf das Tor und zertrümmerte es mitsamt den an den Seiten angebrachten kleinen Türmen. Die zwei anderen Haronen, Spinnen- und Skorpionform, stürzten in ihre nachrückenden Geschwister, zerquetschten und verbrannten etliche der Spinnen, sengten einige Haronen an und brachen etliche Gliedmaßen.
Durch den Wegfall der Flammenwerfer war es dunkler geworden, aber die Scheinwerfer der NACAP-Archologie, Leuchtraketen und Mündungsfeuer erhellten die Düsternis noch zu genüge. Die größte Gefahr für die Haronen war jedoch gebannt und der Ansturm nicht mehr aufzuhalten, dicht gedrängt rückten sie bis zur Mauer vor, strömten durch die Öffnung und über die Mauer hinweg und stürzten sich wie im Wahn auf die Soldaten auf und hinter der Mauer, verbogen mit langen Scheren die Läufe der Kanonen, rammten zehn Meter lange Stacheln in Panzer, Laster und Geländewagen und stampften mit ihren Beinen immer wieder in die Schützengräben, in welche sich die meisten der Soldaten geflüchtet hatten. Ein anhaltender Zug von Haronen verschwand im Straßentunnel der Archologie und zertrümmerte Wände und Tore, um in das Innere des gepanzerten Klotzes vorzudringen, viele Spinnen folgten ihnen oder krabbelten die Wände der Archologie hinauf. Der Rest der Haronen und Spinnen lief um das Gebäude herum und ergossen sich in den Innenbereich der Stadt, wo die Schreckwespen ihre Luftangriffe flogen.

7. Juni 2480: Krieg in der Stadt.
Es war etwa eine Stunde vor Mitternacht, als der "Point of no Return" erreicht war, wie er später genannt wurde. Zu diesem Zeitpunkt waren alle Mauern durchbrochen und die Angreifer drangen trotz schweren Widerstandes tief in den inneren Bereich der Stadt ein. Ein Teil der Cragmassen gelangten durch den Straßentunnel in die CMC-Archologie, wo sie Ebene für Ebene besetzten und mit Hilfe der Luftschächte den Verteidigern immer wieder in den Rücken fielen. Der überwiegende Rest ging nach Norden und Süden um die Archologie herum und bekämpfte unter großen Verlusten die Soldaten in den Schützengräben, nach wie vor unter ständigem Beschuss von den Geschützen der Archologie und der dreieckigen Artillerietürme, denen sie sich nun näherten. Der Süd-Ost-Turm sollte noch für einige Zeit gehalten werden, doch der Nord-Ost-Turm erzitterte bereits unter den kräftigen Schlägen dreier Mammutharonen. In den massiven Mauern waren Risse entstanden, an dem Ecken große Stücke herausgeschlagen. Durch eine große Öffnung an der Stelle, an der vorher eine schwere Stahltür die Soldaten schützte, gelangten Crags in den Turm. Wenig später verstummten die Kanonen; jetzt hallten Gewehrschüsse, Explosionen und Schreie innerhalb der Mauern wider.
Die Haronen ließen von dem Turm ab und schlossen sich einem großen Zug von Haronen und Crags an, welche durch die Lücke zwischen der NACAP- und der CMC-Archologie drängten, in Richtung des Süßwassersees. Die freien Flächen zwischen den Archologien, ehemals mit Bäumen und Grasflächen bepflanzt, waren nun mit einem undurchsichtigen Gewirr von Schützengräben, Sandsackmauern, MG- und Artilleriestellungen durchsetzt. Ein menschlicher Gegner ohne Artillerie hätte sich hier (wie im übrigen Stadtbereich auch) die Zähne ausgebissen, selbst mit Panzern wäre es ein schwerer Kampf geworden. Doch die Haronen waren aufgrund ihrer Größe und Stärke kaum aufzuhalten, die Geheimwaffe der Crags hingegen war neben ihren enormen Anzahl auch die Fähigkeit, den Umgang mit einfachen Waffen der Menschen wie Pistolen, Gewehren, Handgranaten und natürlich Messern sehr schnell zu lernen. Schnell imitierten sie das Verhalten der Soldaten und bildeten kleine, bewaffnete Einheiten, welche sich nicht mehr als Kanonenfutter verstanden, sondern diszipliniert und taktisch klug gegen die Menschen vorrückten.
Der Nord-West-Turm fiel etwa zur selben Zeit, aber wortwörtlich: Mehrere Stickwürmer hatten die Ecken solange bearbeitet und geschliffen, bis die Überreste das Gewicht des Turmes nicht mehr tragen konnten und das Bauwerk erst senkrecht fiel und die unteren zwanzig Meter zertrümmerte, um dann seitwärts auf die Mauer sowie einige Menschen zu stürzen, welche unter dem Turm begraben wurden; auch die Schwanzspitze eine Stickwurmes wurde zerquetscht. Der brüllende Wurm schloss sich einigen Würmern und Haronen an, die sich in Richtung des Green City Buildings bewegten, die aus seinem Hinterteil herausfließenden und -rutschenden Eingeweide hinter sich herziehend, blieb aber in der Nähe des GCB regungslos liegen. Seine gesamten Innereien hatte er über fast zwei Kilometer verteilt, dampfend und widerlich stinkend ergossen sie sich in die Schützengräben und zwang mehrere hundert Soldaten zum Rückzug.
Die Südtürme wurden auf die gleiche Weise wie der Nord-West-Turm gefällt, doch waren hier die erschlagenen Opfer Crags, die sich in der Nähe der Türme tummelten. Kleine Gruppen waren zwischen den um die Türme ziehenden Stickwürmern durchgeschlüpft, um durch die geschlagenen Löcher in die Türme einzudringen, nur Minuten später stürzten diese um und zertrümmerten teilweise die Dächer der zwei großen Hangars und einige darin geparkte Raumgleiter. Das war aber nur halb so schlimm, da die Hangars, ebenso wie die Flugfelder, bereits unter Kontrolle der Crags standen. Einige hundert lieferten sich noch Scharmützel mit versprengten Einheiten der Menschen, der Rest war den Stickwürmern zu den Raumhafengebäuden gefolgt, deren Wände nun von den harten Schuppen der Würmer malträtiert wurden. Als die ersten Wände und Deckenteile der flachen Gebäude einstürzten, waren in beiden Anlagen noch etwa 500 Black Marines und Special Ground Forces eingeschlossen, die aber schnell weniger wurden, weil über 2.000 Crags Jagd auf sie machten; auch einige Stickwürmer schoben sich durch die Hallen, Gänge und Räume und durchbrachen Wände, Böden und Decken, bis die Überreste von selbst zusammenfielen und Menschen wie Crags unter Tonnen von Trümmern begruben.
Aus der Trümmerwüste des Raumhafen schlugen bereits hohe Flammen, als mehrere Stickwürmer den Turm bearbeiteten und andere zusammen mit Haronen und Crags durch unzählige Löcher in das Green City Building eindrangen. Inzwischen fand fast die ganze Schlacht in dem Gebiet zwischen den drei Archologien statt. Die schweren Geschütze in ihren steilen Wänden feuerten unentwegt und scheinbar ziellos auf die große Fläche unter ihnen; zwischen Trümmern, Bombenkratern und Schützengräben bewegten sich fast alle Mammutharonen, Stickwürmer, Crags und Haronenspinnen des Planeten, laut summend lag ein unsichtbarer Schwarm von Schreckwespen über ihnen in der Dunkelheit. Einige Stellungen wurden noch immer von Soldaten auf dem Boden gehalten, meist in der Nähe der Archologien, doch nach dem Einsturz des Green City Building konzentrierten sich die Angreifer auf genau diese Stellungen, welche den Bestien verzweifelt und in Todesangst mit allem beschossen, was die Tanks, Geschützmagazine, Plasmaverdichter und Munistreifen hergaben. Im Geschosshagel des letzten Aufgebots wurden über tausend Crags und Haronenspinnen zerfetzt und drei Haronen gingen in Flammen auf, doch nach kaum einer halben Minute konnten die Waffen gegen den Ansturm nichts mehr ausrichten. Die letzten Stellungen unter freiem Himmel wurden regelrecht in den Boden gestampft, bis auf einige verbogene Metallstücke und dunkelrote Blutlachen blieb nichts von ihnen übrig.

8. Juni 2480, 3:00 Uhr.
700 Kilometer über Green City befand sich die NACAP-Raumflotte mit 20 Schiffen, davon 12 Kriegsschiffe. Auf dem Führungsschiff "Excalibur", ein waffenstarrender Zerstörer von 2,4 Kilometer Länge und mit 800.000 Bruttoregistertonnen das zweitgrößte Schiff der Flotte, befand sich Kobons Arbeitszimmer. Müde und ausgezerrt betrachtete er gerade auf einen Bildschirm mit Echtzeitbildern aus Green City. Ein lautes Klingeln riss ihn aus seinen Gedanken, langsam griff er nach einem rot blinkenden Knopf an einem Terminal auf seinem großen Mamorschreibtisch. Statt auf den Knopf zu drücken, griff er vorher noch mal nach dem Glas mit dem Scotch und nahm einen brennenden Schluck, der angenehm wärmte. Dann drückte er auf den Knopf. Auf einem kleinen Monitor erschien ein Videobild von Sythoff.
"Einen Moment, Marsh ist auch gleich da."
Bevor Kobon etwas sagen konnte, teilte sich das Bild und Marsh erschien auf der rechten Seite, er sah krank aus und wirkte sehr nervös. Neben ihm wirkte Sythoff wie die Ruhe in Person, doch auch sie war merklich angespannt.
"Meine Herrn, bleiben wir bei dem ursprünglichen Plan?"
Von einer Sekunde auf die andere wurde Kobon wieder zu dem eiskalten, militärischen Führer: "Ich sehe keinen Grund für eine Abweichung. Sie haben die Kontrolle über den Boden bekommen und der Fall der Archologien ist nur eine Frage der Zeit."
"Ich sehe es ebenso" sagte Sythoff. "Ich sehe keine Möglichkeit, mit meinen Reservetruppen die Archologie länger als fünf Tage zu halten. Abgesehen davon ist sie bereits jetzt ein Schrotthaufen, diese Biester haben schon fünf Ebenen verwüstet."
Marsh meldete sich zu Wort. "Ich stimme ihnen zu, das die Archologien verloren sind. Aber dennoch finde ich den ursprünglichen Plan etwas... radikal. Wir sollten unsere Flotten abziehen und den Planeten vergessen."
"Auf keinen Fall!" Kobons Stimme war lauter geworden, er wirkte fest entschlossen.
"Wir dürfen keine Form von Technologie zurücklassen! Unsere Schusswaffen können die Crags bereits bedienen, und das ist schon zuviel. Wir müssen jetzt schnell handeln, solange die Biester noch da unten wüten. Die Avenger ist bereit, und ich werde sie einsetzen!"
"Die Black Shadow lädt ihre Waffen." Sythoff klang ruhig und gefasst.
"Sollten wir unseren Truppen in den Archologien nicht die Möglichkeit zur Flucht geben?" Marsh war unentschlossen. "Wir könnten..."
"Nein! Wir werden sofort handeln, ohne jede weitere Verzögerung! Und wenn sie sich querstellen, sind ihre Schiffe auch dran!" Kobon meinte es ernst, und Marsh wusste das. Es wäre nicht das erste mal, dass der NACAP-Systemflottenführer einen Konzernkrieg anfangen würde.
Marsh gab den Widerstand auf. "Ich gebe den Einsatzbefehl an die Goliath weiter."

8. Juni 2480, 3:02 Uhr.
Mit Ausnahme der drei Archologien lag Green City in Schutt und Asche. In den Archologien tobten Kämpfe, wo es noch Menschen gab, in anderen Bereichen regierte die Zerstörungswut einiger Haronen und Stickwürmer. Crags durchstreiften alle Ebenen auf der Suche nach Waffen und anderen Dingen, Haronenspinnen webten ihre Netze in abgelegenen Winkeln.
700 Kilometer über ihnen floss die in Kernfusionsreaktoren erzeugte Energie über Supraleiter in die Magnetspulen und Reaktoren der Massebeschleuniger, die Masseverdichter an den Enden der Beschleuniger füllten sich mit einem Gas-Flüssigkeitsgemisch aus den Isotopen mehrere Grundelemente, wo sie in einer trommelförmigen Kammer beschleunigt und verdichtet wurden: Die Beschleuniger der "Avenger" luden sich auf und erreichten Feuerbereitschaft. Dann öffneten auf Kobons Befehl die Masseverdichter ihre Ventile und kleine 100-Kg-Portionen der verdichteten, beschleunigten und erhitzten Materie wurden in rascher Folge in die Beschleunigerröhren abgegeben, deren Magnetfelder die Masse von halber Lichtgeschwindigkeit auf Fast-Lichtgeschwindigkeit beschleunigte. Innerhalb einer Sekunde erreichten die hell strahlenden Geschosse die Planetenoberfläche und schlugen im Abstand von etwa 50 Meter ein. Bei jedem Einschlag verdampfte das Geschoss mehrere Meter des Bodens, kollabierte dann zu einer hohen Flammensäule und erzeugte gleichzeitig eine tausende Grad heiße Druckwelle, die sich mit dreifacher Schallgeschwindigkeit von Ground Zero entfernte und nichts als Trümmer und Asche hinterlies.
Die erste Salve war auf die NACAP-Archologie gerichtet; das Gebäude schien aufzuglühen und verschwand dann für Sekunden in einem Flammenball, die Druckwelle zeriss die gepanzerte Festung von innen und verteilte ihre Bruchstücke über die ganze Stadt. Weitere Salven von jetzt sechs Massebeschleunigern folgten, zerstörten die anderen Archologien und die Überreste der Außenposten, ließen den See in Sekunden verdampfen und vernichteten die Armeen der Insekten und Pflanzen, welche vor einigen Stunden noch unbesiegbar schienen.
Nach kaum einer Minute waren die Masseverdichter leer und der Feind besiegt. Tiefe Löcher waren in den Boden gefressen, über den sich schon bald eine Ascheschicht niederlegen würde.

8. Juni 2480, 3:05 Uhr.
Die Bombardierung hatte Kobon von der Brücke der "Excalibur" aus beobachtet, wo er noch immer saß und in Gedanken vertieft auf den großen Bildschirm starrte, der das Zielgebiet zeigte. Das Bild war schwarz wie eine Nacht auf Floranum ohne Mond und Sterne.
Der Captain des Schiffes wand sich an Kobon.
"Wie lauten ihre Befehle, Systemflottenführer?"
Kobon antwortete, ohne ihn anzusehen: "Kurs Erde. Dort wird man einige Fragen haben."
Der Captain trat weg und ging gerade zu dem Navigator, als sich eine junge Frau an einer Steuerkonsole zu Wort meldete.
"Sir, ich beobachte eine Aktivität. Mehrere Objekte bewegen sich von dem Planeten in Richtung der Flotte.
"Sind es Schiffe?" fragte der Captain.
"Nein Sir, zu klein. Der Ausgangspunkt liegt innerhalb des Stickfeldes."
Kobon schaltete sofort und sprang auf. "Sofort Ausweichmanöver, dann den Orbit verlassen! Die ganze Flotte!" Auf der Brücke brach Hektik aus, ein Dutzend Offiziere stürzten sich auf ihre Konsolen und redeten durcheinander, zur gleichen Zeit startete der Antrieb der "Excalibur", beschleunigte das Schiff und brachte es außer Reichweite der Geschosse. Die anderen Schiffe der Flotte folgten sofort, nur die "Avenger" konnte ihre Masse nicht rechtzeitig in Bewegung bringen und wurde am linken Massebeschleuniger getroffen. Innerhalb zweier Sekunden wurde der Beschleuniger von dem Schiff gelöst, drei weitere Sekunden später hatte die "Avenger" zu der Flotte aufgeschlossen.

8. Juni 2480, 3:06 Uhr.
"Systemcommander, wir registrieren Aktivität innerhalb des Stickfeldes!"
Das Stickfeld! Sythoff fielen sofort die Snipersticks wieder ein.
"Alle Antriebe starten! Die Flotte soll sich bereit halten."
Wie groß mochten Sniperstick sein, die den Orbit erreichen konnten? Hundert Meter? Tausend Meter?
"Da kommt etwas von dem Planeten. Es sind sieben Objekte, die sich schnell nähern. 15 Objekte!"
"Sofort Befehl an die Flotte: Orbit verlassen!"
Die Flotte der InterFood AG geriet in Bewegung, die Schiffe starteten ihre Antriebe. Dann wurde die "Avenger" getroffen, deren beschädigter Massebeschleuniger abgetrennt und zurückgelassen wurde. Weitere Geschosse näherten sich, einige Schiffe aus der ebenfalls ausbrechenden CMC-Flotte mussten ihnen ausweichen, doch die "Uranus" wurde getroffen und kollidierte manövrierunfähig mit dem Massebeschleuniger der "Avenger"; in der folgenden Explosion wurden fünf CMC- und zwei IF-Schiffe wurden von Trümmern getroffen und wegen der Druckwelle weitere Schiffe von ihrem Kurs abgebracht. Gleichzeitig erreichten weitere sieben Geschosse der Snipersticks die Flotten, drei Schiffe von CMC und zwei IF-Schiffe wurden getroffen. Die "Dark Moon" konnte trotz schwerer Beschädigungen und eines Hüllenbruchs zu der IF-Flotte aufschließen, die "Shark" kollidierte mit dem CMC-Truppentransporter "Raptor" und die Schiffe "Ganymed" und "Odysseus" explodierten wegen kollabierender Antriebsmodule. Alle übrigen Schiffe konnten den Orbit rechtzeitig verlassen.

2480 und die Zeit danach.
Floranum wurde kurz darauf zum Sperrgebiet erklärt und von der Zivilraumfahrt gemieden. Von 2485 bis 2490 wurde jedes Jahr eine Aufklärungssonde auf den Planeten entsendet, doch die Kommunikation brach jeweils in der ersten Nacht ab.
2495, 2507 und 2516 landeten gemeinsame Forschungsexpeditionen aller Konzerne auf dem Planeten, welche bis 2480 auf Floranum vertreten waren. Zweck der Expeditionen war die Klärung der Frage, ob eine erneute Besiedelung möglich ist. Die zwei ersten Expeditionen bejahten diese Frage, da der Planet genauso friedlich wie in den Jahren nach seiner Entdeckung schien. Die dritte Expedition verschwand in der zweiten Nacht (spurlos, wie eine Sonde zwei Tage später feststellte, bevor auch sie verschwand).
Seither hat niemand den Planeten offiziell betreten.