Runkenstein
Robotic Greetings

Runkensteins Wortkatakomben

Texte aus den tieferen Gefilden des Verstandes
lustig - absurd - düster - kafkaesk - surreal - grotesk


Schwarzer Imperator Niemand


Graue Regenwolken hingen tief über über den Dächern und Türmen von Exkladion, einer von vielen Planeten im Spiralarm Codajun und Hauptstadt der Galaxis. An einem Fenster der im Zentrum stehenden Festung Groß-Karoduian stand der galaktische Imperator Kalius Terrk, blickte hinaus in den Regen und betrachtete den Flug der Kristalldrachen, die von Zeit zu Zeit in Bodennähe kamen, um sich Vieh oder einen Bürger der Stadt zu holen. Vor über Tausend Zyklen hatte er sie heilig gesprochen, um sie vor selbst ernannten Drachenjägern zu bewahren; als Gegenleistung verzichteten sie darauf, imperiale Truppen oder Bedienstete innerhalb der Mauern von Groß-Karudian anzugreifen und bewachten zugleich den Eingang zu den Taleron-Minen.
Als es an die Tür klopfte, reagierte der Imperator nicht; das näherkommen des ersten Kanzlers hatte er bereits vor einigen Minuten gespürt.
Die Tür öffnete sich und der erste Kanzler trat ein, verbeugte sich tief und wartete.
"Ein weiterer Zyklus ist vergangen." Kalius Terrk beobachtete nach wie vor die Kristalldrachen.
"Ja, euer Allmächtigkeit."
"Wurden alle Vorbereitungen für die Zeremonie der Erneuerung getroffen?"
"Gewiss, euer Allmächtigkeit."
"Von welchem Volk wird der neue Träger sein? Welche Rasse folgt auf die der Traktan?"
"Das Volk der Menschen, euer Allmächtigkeit."
"Gab es einen unter ihnen, der die große Ehre freiwillig annehmen wollte?"
"Niemand meldete sich freiwillig, euer Allmächtigkeit."
Über das schuppige Gesicht des Imperators huschte ein kurzes lächeln.
"Dann soll Kalius Niemand der Regent des kommenden Zyklus werden. Bringt ihn pünktlich zur Zeremonie." Kalius Terrk wusste, das sich seit über 5.000 Zyklen kein Freiwilliger gemeldet hatte, um Träger des Energiewesens Pextaktikum und damit Kalius für einen Zyklus zu werden. Auch Terrk war von den Schergen der imperialen Leibwache im Schlaf aus seinem Haus geholt worden, um wenige Stunden später der nächste Kalius und galaktischer Imperator zu werden. Doch ein Kalius lebt nur für einen Zyklus, dann benötigt Pextaktikum einen neuen Wirt.
"Wie ihr befiehlt, euer Allmächtigkeit." Der erste Kanzler verzog keinen Muskel seines Gesichtes. Er hätte einen Grund gehabt, denn auch er war Mensch.
"und nun verlest mir die Zahlen des vergangenen Zyklus."
"Sehr wohl, euer Allmächtigkeit. 352 neue Planeten wurden besiedelt, 12 neue Rassen entdeckt, 243 Milliarden galaktische Bürger wurden geboren, 197 Milliarden verließen unsere Welt. Bei 465.832 Einsätzen eurer Sturmtruppen wurden 15,7 Milliarden subversive oder genetisch mangelhafte Individuen beseitigt.
"Wie lautet der heutige Stand?"
"Euer Imperium erstreckt sich über 245.386 Planetensysteme mit 1.483.728 bewohnten Planeten, euer Allmächtigkeit. 2,759 Billionen Bürger aus 124.577 verschiedenen Rassen sind euch treu ergeben."
Wie ist eure Meinung zu der Regentschaft des Kalius Terrk, Kanzler?"
Der erste Kanzler schluckte unmerklich. Wenn der Imperator nach der Meinung eines anderen fragte, konnte dieser noch während seiner Antwort in Flammen aufgehen und zu Asche zerfallen, wenn sie ihm missfiel. Doch mit der falschen Meinung konnte man es nicht in die Position des ersten Kanzlers schaffen.
"Die Regentschaft des Kalius Terrk war... reinigend, euer Allmächtigkeit. Seit vielen Zyklen wurden nicht mehr derart viele Feinde eures Imperiums vernichtet. Die Grausamkeit der Traktanen ist auch heute noch legendär, über 2.000 Zyklen nach ihrer Eingliederung in das Imperium."
"Da habt ihr recht, Kanzler. Doch der kommende Zyklus eines menschlichen Kalius wird ein neues Zeitalter der Eroberung einleiten: Ich werde die Systeme der zwei Enkarior-Galaxien unterwerfen. Seit über 4.000 Zyklen herrsche ich über die Galaxis; die einzigen Eroberungen in dieser Zeit waren abtrünnige Planeten und unbedeutende Systeme mit primitiven Zivilisationen in den Randgebieten. Es ist wieder an der Zeit für Eroberungen."
Die Magellan'schen Wolken, dachte der erste Kanzler. Irgendwann musste es ja soweit sein, dass ihn die zwei hellen und nicht-imperialen Flecke am Nachthimmel ein Dorn im Auge sein würden. Immerhin waren sie nicht unerreichbar; die 17. Kampfflotte könnte mit 70 Zerstörern und 50 Millionen Soldaten in nur 14 Monaten dort sein, die anderen Flotten würden wohl etwas länger benötigen.
"Die Enkarior-Galaxien werden eure Auswahl an verschmelzungsfähigen Rassen sicher beträchtlich erweitern, euer Allmächtigkeit. Der Treibstoffverbrauch euer Schiffe wird aber erheblich steigen. Ich empfehle euer Allmächtigkeit, die Anzahl eurer Wasserstoff-Kollektoren zu verdoppeln."
"Das habe ich bereits berücksichtigt."
"..."
"Doch für diese Pläne ist Zeit nach der Zeremonie. Lasst jetzt Niemand herbringen und untersuchen. Wenn er würdig ist, soll die Zeremonie bei Sifiluntergang beginnen."
"Wie ihr befiehlt, euer Allmächtigkeit."
Der erste Kanzler verbeugte sich tief und verließ dann eiligen Schrittes den Raum. Die Vorbereitung der Zeremonie der Erneuerung war nicht kompliziert, doch der kleinste Fehler versprach ihm eine hunderttägige Todesfolter.

Als der orangene Schein von Sifil am Horizont hinter den Drachenbergen endgültig erstickte, dröhnten zehn Dutzend Kristall-Fanfahren gleichzeitig los, um den Beginn der Zeremonie zu verkünden. Der Klang hallte von den Mauern Groß-Karoduians wider, erhob sich in die Stratosphäre und verteilte sich um den ganzen Planeten; über Gravitationswellen verbreiteten sie sich in dem selben Augenblick bis in die Unendlichkeit, während nur wenige Milliarden begüterte Bewohner des galaktischen Imperiums sie empfangen konnten.
Die Halle der Macht wurde in diesem Moment der wichtigste Ort der Galaxis. Das halbkugelförmige Bauwerk zwischen dem Wohnsitz des Imperators und der inneren Mauer hat einen Durchmesser von über einem Kilometer und wird nur für die Zeremonie der Erneuerung genutzt. Die einzige Lichtquelle in der sonst stockdunklen Halle ist ein winziger Stern, welcher während Vorbereitung und Durchführung der Zeremonie von einem in die Kuppel eingebauten Sternengenerator in der Mitte der Halle erzeugt wird. Sein Licht erreicht nur den Boden, Wände und Decke bleiben in der Dunkelheit verborgen.
In diesem Moment öffnete sich die größere Tür in der Halle der Macht und der Imperator trat ein. Er trug ein schlichtes, schwarzes Zeremoniegewand und, an einer goldenen Kette, den schwarzen Kristall der Pein: Er machte aus dem bereits übermächtigen Wesen Pextaktikum den fast allmächtigen Imperator des galaktischen Imperiums. Pextaktikum konnte jedem seiner Untergebenen überall in der Galaxis erscheinen, doch mit Hilfe des Kristalls konnte er über hunderttausende von Lichtjahren auch physisch foltern - Die Grundlage seiner beständigen Macht.
Wortlos ging er zu dem steinernen, etwas erhöhten Zeremonienkreis und schritt die flachen Stufen hinauf. Im Licht des kleinen Sterns erkannte er die Versammelten, die sich mit respektvollem Abstand um dem Steinkreis verteilt hatten: Drei Kanzler, acht Quadranten-Admiräle, vier Ehrengardisten und zehn Vertreter von Religionen, deren Gründungen der Imperator im Laufe der Zeit selbst angeregt hatte.
In der Mitte des Kreises stand Garibaldi Niemand, ein Mensch von etwa fünfundzwanzig Zyklen. Er hatte nur eine lange, schwarze Hose an und war völlig bewegungsunfähig, weil er von einem Energiefeld gefangen war. Kalius Terrk kam näher und blickte ihm tief in die Augen, Niemand starrte zurück. Für mehrere Augenblicke schien eine unsichtbare Verbindung zwischen den weiß-grünen Augen des Menschen und den schwarzen Augen des Traktanen zu existieren, dann wand sich der Imperator ab und trat zurück.
"Es soll beginnen."
Der erste Kanzler und Quadranten-Admiral Voikor, eine Kombination aus Gottesanbeterin und Hornisse vom Volk der Niiin, kamen über die Treppe auf den Steinkreis; Voikor hielt mit vier Armen eine kleine, aber scheinbar schwere Taleron-Schatulle fest. Als sie Niemand erreicht hatten, öffnete Voikor mit zwei weiteren Armen die Schatulle; der erste Kanzler entnahm einen Kristall an einer Kette, welcher dem schwarzen Kristall der Pein sehr ähnlich sah, aber ein wenig kleiner war: Der Taumogon. Mit ruhigen Händen legte ihn der Kanzler um Niemands Hals und verließ dann mit Voikor wieder den Kreis.
Es schien leiser zu werden, obwohl mit eintreten des Imperators der absolute Nullpunkt der Stille bereits erreicht war. Kalius Terrk stellte sich wieder vor Niemand. Die muskulöse reptilienartige Kreatur überragte den Menschen um einen halben Meter. Terrk wusste um seinem bevorstehenden Tod und kämpfte gegen Pextaktikum an, wie er es schon so oft getan hatte, doch da allmächtige Energiewesen kontrollierte mit der gleichen Beharrlichkeit jede Zelle seines Wirtskörpers, mit der es bereits seit Ewigkeiten die Galaxis beherrschte.
In diesem Moment konzentrierte Pextaktikum seine gesamte Macht auf den schwarzen Kristall, der langsam heller wurde und nach einigen Minuten weiß glühte. Blaue Energiefäden kamen aus ihm hervor und verteilten sich in alle Richtungen, schienen aber gleichzeitig in Richtung des Kristalls zu fließen. Sie wurden länger, bis ihre Enden in der Dunkelheit der Halle verschwanden. Einige wanden sich wie Schlangen, andere flossen still wie Flüsse, manchen zuckten wie Blitze. Dann setzte ein tiefes Summen ein, welches die Energiefäden zu beschleunigen schien: Sie pulsierten immer heftiger und nahmen Unmengen von Energie aus der Umgebung auf, um sie in den Kristall zu leiten. Wie Temperatur war bereits in die Nähe des Gefrierpunktes gesunken, während der Atem in der Luft zu gefrieren schien.
Als der Summton die Schmerzgrenze der ersten Anwesenden erreichte und das gleichmäßige pulsieren zu einem kaum mehr wahrnehmbaren Flackern verschwamm, schien der Imperator selbst zu glühen. Er öffnete seine Augen und sah Niemand aus blau-glühenden Augen an, blickte dann nach oben und schloss die Lider; in diesem Moment verstarben das ohrenbetäubende Summen und die flackernden Energieströme und für einem Moment war es stiller als je zuvor. Dann entlud sich der glühende Kristall und schoss einen blendenden, zuckenden Energiestrahl auf den Taumogon, welcher die Energie über den Körper verteilte. Niemand schrie, bis die Luft aus seinen Lungen entwichen war, anschließend übernahm die Energie seine Stimmbänder: Der Schrei wurde lauter, tiefer und verzerrte sich, bis er alles menschliche ausgestoßen hatte, dann endete er apprupt.
Es war wieder still. Kein Muskel zuckte, keine Energie floss.

Kalius Niemand öffnete seine Augen. Es waren die Augen eines Menschen, nicht seine Augen. Langsam aus seiner Starre erwachend blickte der Imperator auf seine Hände, berührte sein neues Gesicht, atmete ein und aus. Es war immer wieder ein seltsamer Moment.
Sofort danach galt seine Aufmerksamkeit Terrk, der völlig bewegungslos vor ihm stand; der seelenlose Körper hatte nach wie vor den schwarzen Kristall um seinen Hals hängen. Das Amulett hing ihm fast in Augenhöhe gegenüber und war wieder völlig schwarz. Jeder andere hätte sich vermutlich gefragt, wie er die Kette von dem Traktanen abnehmen wollte, doch das war sein geringstes Problem: Als er den Kristall in seine Hand nahm, zerfiel der Körper des vorherigen Kalius zu Staub.
Die Zeremonie war fast beendet. Mit der rechten Hand nahm der Imperator den Taumogon, zog dessen Kette über seinen Hals und warf ihn dann achtlos in den grünlich-grauen Pulverberg, der sich vor ihm auftürmte. Voikor würde sich nachher darum kümmern.
Langsam legte er sich die Kette des schwarzen Kristalls um den Hals, während von diesem kleine, grüne und blaue Funken auf Niemands Haut übersprangen. Als er endgültig auf der Brust auflag, blitzte er noch einmal hell auf, dann blieb er schwarz. Der neue Imperator erlaubte sich ein kurzes lächeln und blickte sich dann zu seinen Untergebenen um, diese sahen jedoch zu Boden.
Mit schnellen Schritten wollte er den Steinkreis verlassen, wurde in dessen Mitte jedoch von etwas festgehalten. Der Stein glühte plötzlich weiß auf, Kalius Niemand verfiel in ein epileptisches zucken. Mehrere Stellen seines Körpers wurden heller und breiteten sich aus, dann explodierte das Licht; Nanosekunden später trat Pextaktikum in seiner feinstofflichen Gestalt hervor und schoss völlig orientierungslos durch den Raum zwischen Niemand und der kleinen Sonne hoch über seinem Kopf, so dass nur ein helles Gewirr aus Leuchtspuren erkennbar war.
Als er plötzlich in der Luft verharrte, konnte man zum ersten mal Einzelheiten erkennen: Ein schlangenartiger Körper mit zwei insektenähnlichen Flügelpaaren, sechs Armen und einem Kopf, der nur aus Zähnen und zwei großen Facettenaugen zu bestehen schien; seine Haut leuchtete gelblich und war teilweise transparent.
Zunächst schwebte Pextaktikum regungslos über dem Boden und starrte Niemand an, dann flog er langsam um ihn herum, seinen Körper immer in Richtung des regungslosen Menschen gerichtet. Nach dem beenden des Kreises war er für einen weiteren Moment regungslos, dann stürzte er auf Niemand herab.
Den halben Weg hatte er bereits zurückgelegt, als Niemand aus seiner Starre erwachte, sich aufbäumte und ein weiteres Wesen aus ihm hevorbrach, welches sich sofort auf Pextaktikum stürzte und zusammen mit diesem einen wirbelnden Feuerball bildete, der wie eine Libelle durch die Halle schoss und dabei Geräusche von sich gab, als hätten sich die Tore der Hölle geöffnet. Mehrere Augenblicke schien es, als könne dieses Schauspiel tagelang so weitergehen, dann beendete ein plötzlicher Todesschrei den Kampf apprupt.
Die Energiewesen lösten sich voneinander. Eines fiel regungslos aus zwanzig Meter Höhe hinunter und verschwand ohne Aufschlag im Boden; nur eine blau leuchtende Pfütze blieb zurück, die schnell verdampfte. Das andere Wesen blickte die Anwesenden kurz an, bevor sich in der Luft eine senkrecht schwebende, blaue Fläche bildete, durch welche es im nächsten Moment verschwand. Sekunden später verschwand auch die dimensionale Spalte.
Alle blickten zu Niemand. Während des Kampfes hatte er sich nicht bewegt, jetzt vibrierte sein Körper jedoch: Das kuranische Zittern hatte eingesetzt (Es entsteht, wenn man eine Seele aus einem Körper befreit, ohne einen neuen Geist einzusetzen). Die Vibrationen wurden stärker und erfassten den ganzen Körper, der zunächst zu verschwimmen schien und dann langsam zerbröselte, bis auch von ihm nur ein trockener Haufen inaktiver, organischer Materie übrig blieb.

Die anwesenden Zeugen der Zeremonie hatten während der sich überschlagenden Ereignisse weder bewegt noch etwas gesagt, selbst die sonst eher reaktionären Quadranten-Admiräle schienen dass eben Erlebte und dessen mögliche Folgen nur langsam zu begreifen. Es war der erste Kanzler, der als erster eine Reaktion zeigte: Aus einer Tasche seines Gewands nahm er einen Breitband-Kommunikator und wählte eine Nummer, dessen Kenntnis ihm bis vor wenigen Momenten noch Folter mit anschließender Exekution eingebracht hätte, da man sie mit dem zentralen Widerstand in Verbindung brachte.
Ein Licht zeigte an, dass das Gerät für eine Sprachaufnahme bereit war, dann sagte er: "Niemand ist der neue Imperator."
Als sie gemeinsam ins Freie traten, hatte der Regen aufgehört.