Runkenstein
Robotic Greetings

Runkensteins Wortkatakomben

Texte aus den tieferen Gefilden des Verstandes
lustig - absurd - düster - kafkaesk - surreal - grotesk


TV 3084


Als er aufwachte, wunderte er sich zunächst, weshalb er den Wecker überhört hatte. Es war Freitag, deshalb mußte er wie jeden morgen um sechs Uhr aufstehen, damit er den Bus zur Schule noch erwischte. Glücklicherweise stand das Wochenende bereits vor der Tür.
Was er heute abend tun würde, wußte er noch nicht. Wahrscheinlich würde er wie jeden Freitag rumtelefonieren und hören, was die anderen machten. Morgen abend war jedenfalls Party angesagt. Ein Freund hatte Geburtstag, - und mit Bier, Joints und Punkmusik konnte man den Abend gut überstehen. Aber jetzt sollte er wohl aufstehen, immerhin war eine Arbeit in Programmierung angesagt.
Er öffnete kurz seine Augen, schloß sie aber sofort wieder. Etwas stimmte nicht. Es hatte ausgesehen, als würde er in einem Sarg liegen. Entweder schlief er noch, oder jemand wollte ihn verarschen.
Er öffnete seine Augen abermals und sah sich um. Er lag in einer Kiste mit Glasdecke, in der überall Schläuche aus den Wänden kamen. Er suchte nach einer Möglichkeit, sein Gefängnis zu öffnen und entdeckte dabei, dass er nur Boxershorts an hatte, oder etwas Ähnliches. Nun sah er auch den Schlauch, der unterhalb seines Bauchnabels die Haut durchdrang und vermutlich in die Blase ging.
Bauchnabel? Er sah nochmals genau hin, aber einen Bauchnabel konnte er nicht sehen, da war absolut nichts. Dafür spürte er jetzt den Schlauch, der an seinen Darm angeschlossen war. Auch an seinem Hinterkopf war etwas Ungewöhnliches, als wäre er festgewachsen.Er bewegte sich, hatte aber Schmerzen an den Stellen, an denen Schläuche und Kabel seine Haut durchbohrten.
Neben sich auf Schulterhöhe entdeckte ereinen Knopf. Darüber war ein Zeichen, das eine geöffnete Kiste zeigte. Ohne Zögern drückte er ihn und mit leisem knirschen verschwand die flexible Scheibe über ihm in der Seitenwand. Im liegen konnte er nur erkennen, dass sich seine Behausung in einem Raum befand, der anscheinend weitläufig war, den zu den Seiten konnte
man keine Wände erkennen. Er wollte sich aufrichten, aber das Ding an seinem Kopf hielt ihn zurück. Er zog sich dann zunächst sämtliche Schläuche aus dem Körper. Die tiefen Nadeln in der Brust konnte er gerade noch ertragen. Aber die Schläuche in Blase und Darm schmerzten beim Entfernen so sehr, daß er beinahe ohnmächtig wurde.
Nun konnte er mit seinen Armen an seinen Kopf erreichen. Er fühlte dort ein sehr dickes Kabel mit einem Durchmesser von mindestens fünf Zentimetern, welches in seinen Kopf ging.. Er versuchte, es herauszuziehen, aber es schien mit seinem
Gehirn verwachsen zu sein. Er tastete die Stelle ab, an der das Kabel in seinen Kopf eindrang und fühlte an dem Kabelende eine kleine Erhebung, welche sich eindrücken ließ. Einige Sekunden später fiel das Kabel von alleine ab.
Für einen kurzen Moment glaubte er, ohnmächtig zu werden, fing sich aber wieder. Nun konnte er sich endlich aufrichten, aber ein starker Schmerz, der seinen Rücken durchzuckte, hinderte ihn daran. Er fühlte sich, als habe er sein ganzes Leben schon dort gelegen, und vielleicht war es auch so.
Die Nadeln, die er sich aus dem Körper gezogen hatte, schienen schon mit der Haut verwachsen zu sein. Er lag sicher nicht erst seit gestern hier. Er dehnte sämtliche Muskeln und versuchte nochmals, sich aufzurichten. Es tat zwar immer noch weh, aber nun konnte er es ertragen.
Der Raum erstreckte sich zu beiden Seiten so weit, dass er dessen Enden nicht sehen konnte. Zu seinen beiden Seiten standen dicht gedrängt weitere Behälter. An der Wand, die ihm gegenüberlag, standen ebenfalls welche. Er drehte sich um und konnte nun das Kabel erkennen, das er entfernt hatte. Seine Anschlüsse waren winzig, kaum zu erkennen.
Er stand auf und stieg aus seinem Behälter aus, als würde ein Toter seinem Sarg entsteigen. Er ging zum Gang in der Mitte des Raumes, der zwischen den Behältern verlief. Er konnte sich kaum auf den Beinen halten, mußte sich an den Kisten festhalten. Als er am Fußende seines Behälters ankam, fiel sein Blick auf einen Monitor, der dort befestigt war. Dort stand zu lesen: "Kapsel 739-P-17. Klasse: Nebendarsteller. Serie: Neben uns." Darunter standen noch viele weitere
Informationen über ihn.
Langsam verstand er, wo und was er war, doch konnte es kaum glauben. Sein ganzes Leben war erfunden. Er hatte die Rolle eines Nebendarstellers in einer Fernsehserie. Vielleicht war er gleich nach seiner Geburt in diese Kapsel gelegt und an einen Computer angeschlossen worden. Aber, wenn er keinen Bauchnabel hatte, war er wahrscheinlich nicht einmal normal
geboren worden.
Er scrollte den Bildschirminhalt weiter nach unten, bis zu den Geburtsinformationen. Er war künstlich gezeugt und in einer Petrischale gezüchtet worden, um Nebendarsteller in einer Fernsehserie zu sein. Alles war vorbei. Er war aus einem Traum gerissen worden, den er für sein Leben hielt.
Er sah sich jetzt genauer in um und konnte nur einige Meter weit weg eine Lücke in den Kapselreihen erkennen. Dort war hoffentlich der Ausgang. Während er schleppend und immer noch mit Schmerzen zu der Lücke ging, sah er auf die Listen der anderen Kapseln. Dort lagen all seine Freunde und Verwandten, sogar die Leute, die er nur entfernt und vom Sehen kannte.
Ihre Gesichter sahen aus, als würden sie schlafen.
Hinter der offenen Tür war ein kleiner Raum, in dem sich ein Schreibtisch mit Computer und ein Schrank befanden, neben dem Schrank eine weitere, geschlossene Tür. Er näherte sich dem Schreibtisch und sah auf den Monitor. Auf diesem war eine Karte zu erkennen, offenbar von diesem Gebäudetrakt. Links war eine Liste, er sah sie schnell durch und drückte mit seinem
Finger auf "Rechenzentrale". Auf der Karte zeichnete sich eine rote Linie, die zu einem runden Raum führte. Dort mußte also der Ursprung sein.
Im dem Schrank befanden sich Decken und Kleidung, außerdem einige Koffer und ein Schlagstock. Gerade, als er einen Koffer öffnen wollte, hörte ein piepsen, das von der Tür
kam. Er nahm den Schlagstock und presste an die Wand neben die Tür, welche sich nun öffnete. Ein Mann in blauer Kleidung betrat den Raum, wurde aber von dem Schlagstock getroffen und viel zu Boden.
Verlassen konnte er den Raum nicht mehr, da sich die Tür sofort schloß, doch wie sollte er jetzt hier rauskommen? Der Bewußtlose hatte eine kleine Karte in seiner Hand. Er sah neben die Tür, wo er einen Kartenleser entdeckte, doch vorher nahm er aber die Ausrüstung des Ohnmächtigen an sich: ein kleines Gewehr und einen Gürtel mit Pistole, Magazinen und
Handgranaten. War all das nur dazu nötig, Eingekapselte zu bewachen? Er nahm sich noch Kleidung aus dem
Schrank und zog sie sich an, den Gürtel und das Gewehr hängte er sich um.Nun schob die Karte in den Leser, sein Blick fiel auf ein Display, auf welchem anscheinend das aktuelle Datum stand: "75.3.3084".
Ja, es war tatsächlich der 75. Er drückte auf den Knopf unter dem Display, die Tür öffnete sich. Mit dem Gewehr im Anschlag betrat er einen Gang. An der Seite des Ganges, die ihm gegenüberlag, war eine lange Fensterreihe. Draußen war es dunkel, aber an den Lichtern konnte er erkennen, daß es ein sehr großer Gebäudekomplex sein mußte. Er erinnerte sich an
die Karte, ging nach links und folgte dem Gang. Am Ende des Ganges, etwa fünfzig Meter vor ihm, konnte er eine Treppe erkennen, die nach oben führte. Zwanzig Meter vor ihm ging ein weiterer Gang nach links, von wo er ein Geräusch kommen hörte. Plötzlich bogen zwei Männer um die Ecke, blau gekleidet und genauso schwer bewaffnet wie derjenige, den er
überwältigt hatte. Ohne zu zögern drückte er auf den Abzug. Energieblitze schossen aus dem Lauf und zerfetzten die beiden Wachen.
Wahrscheinlich war durch die Schüsse ein Alarm aktiviert worden, denn die Gänge waren plötzlich in rotes Licht getaucht und eine Sirene heulte auf. Er rannte los, schoß ohne hinzusehen in den linken Gang. Als er fast an der Treppe war, öffnete sich rechts neben dieser eine Tür, jemand kam heraus, schoss, traf aber nicht. Auch diesen Blaugekleideten traf er
schwer, durch den Kopftreffer spritze sein Hirn in den hinter ihm liegenden Raum. Als der leblose Körper hinfiel, konnte er in dem Raum einige Leute mit weißen Kitteln sehen, auch sie tötete er. Rasend vor Wut, bereit, jeden zu töten, der sich ihm in den Weg stellte, rannte er die Treppe hoch, während er Schüsse hinter sich vernahm. Er zog die Pistole, die zu seiner Verwunderung eine normale Automatik war, und feuerte während des treppensteigens hinter sich. Das Gewehr hielt er nach vorne, wo sich aber niemand blicken ließ.
Als er in der Rechenzentrale kam, sah er kurz einige Leute, die aber sofort hinter schwere Stahltüren flüchteten. Nun schoß er mit beiden Waffen die Treppe runter und tötete drei Wachen. Er rannte in eine Ecke und verbarrikadierte sich hinter einem Schaltpult. Jeden, der die Treppe hochkam, tötete er sofort.
Nach einiger Zeit konnte er sich endlich den riesigen Computer ansehen. Seine Grundfläche war rund und hatte einen Durchmesser von etwa zehn Metern. Nach oben maß die Anlage vielleicht fünfzig bis siebzig Meter, das konnte er aber schlecht erkennen. An den Wänden des Raumes gingen Treppen nach oben, es gab auf verschiedenen Höhen Plattformen um den
Computer herum. An den Seiten des Rechners waren viele Monitore angebracht.
Er überlegte sich, was er nun tun sollte: Sollte er den Rechner zerstören und die vielen tausend, vielleicht Millionen Menschen in ihren Kammern aufwecken, oder sollte er sie in ihren Traumwelten weiterleben lassen? Es blieb ihm nicht viel Zeit zum nachdenken, denn es schienen viele Menschen die Treppe hochzukommen.
Er nahm eine Granate von seinem Gürtel und sah sie an. Sie war sehr leicht. Er zog den Stift, drückte auf den roten Knopf und warf sie in Richtung der Treppe. Dann nahm er den Gewehrlauf in den Mund und schoß.