Es war eine dieser Nächte, in der man das Wetter von draußen bis unter die Bettdecke hören konnte. Der Wind blies um die Ecken und der Regen goss in Strömen. Gelegentlich knackte die Heizung oder ein Ast im nahen Wald, doch ansonsten waren das die Geräusche einer normalen, wenn auch stürmischen Nacht.
Dann jedoch erklang ein leises knarren, das mir zunächst gar nicht auffiel, weil knarrende Türen nicht gerade ein seltenes Phänomen waren. Das knarren wiederholte sich unregelmäßig, aber stetig, bis mir in den Sinn kam, dass eigentlich keine Tür offen stand, die dieses Geräusch erzeugen könnte. Ich ging in Gedanken durch meine Wohnung; da war die Eingangstür, die selbstverständlich geschlossen war, die Tür zum Badezimmer, die ich auch gewohnheitsmäßig schloss (zudem befand sich im Bad kein Fenster, sondern nur eine Lüftung, so dass gar kein Luftzug entstehen konnte), die Balkontür und einige Fenster, die ich in diesem Winter aber nur selten öffnete. Ich höre nun noch genauer hin und versuchte, mir das Geräusch einfach wegzudenken, doch stattdessen wurde das knarren immer lauter, länger und unheimlicher, bis ich mir sicher war, dass diese Tür sich auf keinem Fall in meiner Wohnung oder auch nur in dem Haus befinden konnte. Das machte die Sache aber nicht gerade einfacher, da das Geräusch sicher keine Einbildung war. Oder doch?
*knniiaaaarrrr*
Nein, ganz sicher nicht!
Jetzt gab es nur noch eine Möglichkeit, die unangenehmste in so einer Nacht. Die Decke zurückschlagen, sich aufrichten, Beine aus dem Bett, Füße in die Hausschuhe und in den aufrechten Gang wechseln. Eine Tätigkeit, die ich schon am Morgen verabscheute und nachts umso mehr hasste.
Da war es schon wieder! Jetzt schon fast bösartig, was die Sache noch viel unheimlicher erscheinen lies, als sie es bereits war.
Ich machte das Licht an, ging zur Tür und öffnete sie. Laaangsam. Vorsichtig spähte ich durch den Türschlitz, konnte aber nichts erkennen. Ich trat in den Flur, machte das Licht an und ging langsam zum Wohnzimmer.
Dort fand ich tatsächlich die knarrende Tür. Das erschreckende daran war nur, dass an dieser Stelle keine Tür sein durfte! Sie war zwischen Sofa und einem Schrank, an einer Stelle, an der eigentlich ein Poster hängen sollte. Doch nun war da diese Tür aus dunklem Holz, die so schlicht und einfach wirkte, dass man dahinter nur einen weiteren Raum vermuten würde. Noch immer schwingte sie langsam auf und zu, bewegt durch einen Luftzug, den ich nicht spüren konnte. Vorsichtig ging ich auf sie zu, griff nach der Klinke und zog sie auf, obwohl mir jede Faser meines Körpers zuflüsterte, dass ich lieber ins Bett gehen und diese Sache vergessen sollte. Doch was, wenn die Tür nun jede Nacht knarren würde?
Ich öffnete sie ganz und starrte in den leeren Korridor dahinter, trist wie ein Krankenhausgang, schwach erleuchtet von trüben Deckenlampen und mit einem Geruch nach Moder und nasser Erde angefüllt.
Drei Türen waren zu sehen; eine am Ende des Ganges, vielleicht zwanzig Meter entfernt, eine auf der linken Seite und etwas weiter dahinter eine weitere auf der rechten Seite. Sie wirkten schlicht und stabil und schienen nichts über die Abgründe hinter ihnen preisgeben zu wollen.
Es schien mit absurd, diese Türen zu öffnen, denn ich war nicht in einem dieser Horrorfilme, in denen man die ganze Zeit laut "Geh' nicht da rein, du weißt doch, dass der Killer da drin ist!" schreien will; umso erschrockener war ich, dass meine Beine fast von selbst einen Fuß vor den anderen setzten und mich langsam der ersten Tür auf der linken Seite näher brachten.
Die Neugier wurde größer; ich musste wissen, was sich dahinter befand. Würde ich mich anderenfalls nicht den Rest meines Lebens fragen, von welch seltsamen Dingen und Welten ich in diesem Moment nur Zentimeter entfernt war? Ganz bestimmt. Manche Chance bekam man nur einmal im Leben. Vielleicht verbarg eine dieser Türen den Hauptgewinn, die Antwort auf alle Fragen, die Verkörperung meiner geheimsten Wünsche, der heilige Gral, der mein Leben zum besseren verändern würde? Doch was befand sich dann hinter den anderen Türen? Die Nieten? Meine größten Alpträume? Das Ende der Welt? Wer konnte das schon wissen.
Ich legte meine Hand auf den Türgriff und hielt für einen Moment inne. Mein Herz klopfte laut und schnell und ich war kurz vor dem hyperventilieren. Ich musste allen Mut zusammennehmen, um den Griff nach unten zu drücken und die Tür langsam zu öffnen.
Ein schwaches Licht fiel durch den größer werdenden Spalt, dann konnte ich Pflanzen sehen und erkannte schnell, dass hinter der Tür eine kleine Lichtung in einem Dschungel aus seltsam gewundenen Bäumen war. In der Mitte der Lichtung glitzerte die spiegelglatte Oberfläche eines Teiches in dem Licht, welches durch das dichte Blätterdach fiel. Die ganze Szenerie wirkte auf den ersten Blick sehr friedlich, doch schnell fiel mir auf, dass es viel zu still war. Von den Waldgeräuschen, die man erwarten sollte, war nicht zu hören, nur ein gelegentliches rascheln der Blätter und Äste durch einen Windzug verriet, dass es in dieser Welt überhaupt Geräusche geben konnte.
Eine Weile stand ich direkt in der Tür, beobachtete aufmerksam die dichten Büsche an den Rändern der Lichtung und wartete auf das auftauchen von wilden Tieren oder etwaiger Monster, wie man es in einem spannenden Film erwarten durfte.
Doch nichts passierte.
Nach einigen Minuten wagte ich die ersten Schritte und ging durch Schlamm und feuchtes Gras auf den Teich zu, der so friedlich schien.
Dann jedoch explodierte die Wasseroberfläche und eine riesige Gestalt aus Schlamm und Wurzeln türmte sich auf, starrte mich für einen Moment aus roten, brennenden Augen an und breitete dann zwei große Fangarme aus, ähnlich einer Gottesanbeterin, mit denen es nach mir schnappte. Schlamm und Wasser spritzte in alle Richtungen und ich sprang vor Schreck rückwärts, Sekundenbruchteile später schoss der feuchte, lederartige Fangarm an mir vorbei und bohrte sich in eine aus der Erde ragende Wurzel. Doch die Bestie befreite sich schnell und stieß einen markerschütternden Schrei aus, in demselben Moment spürte ich den Türrahmen in meinem Rücken. Blitzartig griff ich nach der Tür und stürzte mich zurück in den Gang. Die geschlossene Tür wurde von einem starken Hieb getroffen und das Holz splitterte. Dem Wahnsinn nahe rannte ich zu der ersten Tür und schlug sie hinter mir zu. Dann sank ich zu Boden, wo ich am nächsten Morgen erwachte.
Am nächsten Abend lag ich wieder im Bett und wartete. Am Morgen waren meine Füße schlammverkrustet, deshalb hatte ich den ganzen Tag Zeit gehabt, mich innerlich vorzubereiten und das unglaubliche zu akzeptieren. Doch als das knarren der Tür wieder begann, erfüllte mich wieder das selbe Grauen wie in der Nacht zuvor. Trotzdem stand ich auf und ging in das Wohnzimmer, wo die unheimliche Tür lauerte. Auf dem Tisch lag ein Messer, das ich ergriff und nicht mehr loslassen wollte, bis ich zurück war. Langsam ging ich zu der Tür und trat wieder in den Gang, wo ich feststellte, dass die Tür auf der linken Seite völlig in Ordnung war; kein einziger Splitter ragte mehr hervor. Ich wand mich zu zweiten und fragte mich, ob es nicht sinnvoller wäre, gleich zur dritten am Ende des Ganges zu gehen. Würde ich eine Geschichte über diesen seltsamen Gang schreiben, dann würde ich die Erlösung hinter die dritte Tür stecken. Doch jeder andere würde es sicher genauso machen, weshalb hinter der letzten auch das unvorstellbarste Dämonengezücht lauern könnte.
Letztendlich stand die Chance aber 50:50, weshalb es eigentlich keinen Unterschied machte. Ich öffnete die Tür überraschend schnell, und noch bevor ich mir dessen klar wurde, blickte ich auf eine Wüstenlandschaft unter einem glühenden Himmel, an dem zwei Monde und drei Sonne standen. Misstrauisch beäugte ich den Boden, doch er schien aus festem Gestein zu bestehen, weshalb dort keine Gefahr lauern sollte. Es gab auch keine Vegetation, friedliche Teiche oder andere Stellen, an denen sich irgendetwas verstecken konnte, deshalb ging ich einige Schritte hinaus und genoss für einen Moment die Stille und den Anblick dieses fernen Ortes.
In dieser Stille schien der kurze Moment ewig zu dauern, doch ein leichte vibrieren des Bodens holte mich in die Realität zurück. Ich hatte es anfangs gar nicht bemerkt, doch es wurde schnell stärker, und bevor ich reagieren konnte, schossen dünne, schwarze Fäden aus dem Boden, schlangen sich um meine Beine und kletterten an ihnen empor. Ich wollte in die Richtung der Tür laufen, doch die Fäden waren hart wie Stahl und brachten mich zu Fall. Weitere Fäden krochen aus der Erde und versuchten mich einzuwickeln, doch dann fiel mir ein, dass ich noch immer das Messer in der Hand hatte. In Todesangst ging ich auf sie los; obwohl sie sehr fest waren, konnte das Messer sie durchtrennen. Weitere Fäden kamen aus der Erde und versuchten, die zerschnittenen zu ersetzten, doch ich war schneller und konnte mich langsam befreien und aufrichten. Schritt für Schritt nährte ich mich der Tür, ständig nach unten gebeugt, um die nachwachsenden Fäden zu zerschneiden. Als ich sie fast erreicht hatte, verdeckte ein großer Schatten fast schlagartig ein oder zwei Sonnen. Ich spürte einen Luftzug und hörte etwas wie das schlagen großer Flügel, doch ich drehte mich nicht um und verschloss die Tür hinter mir, so schnell es nur ging.
Zurück im Flur atmete ich tief durch und schnitt die restlichen Fäden von den Beinen ab. Einige hatten sich schon fast in das Fleisch geschnitten, und mir wurde bewusst, was geschehen wäre, wenn ich es nicht zurück geschafft hätte. Und vielleicht hätte ich mit einer langsamen Zerstückelung noch mehr Glück gehabt als mit dem, was mir von dem Urheber des Schattens gedroht hätte.
Eigentlich wollte ich in die Wohnung zurückgehen und meine Wunden lecken, doch fragte ich mich nun, warum ich es noch aufschieben sollte. Ich wollte auch die dritte Tür öffnen, sonst hätte sich das alles nicht gelohnt, und wer weiß, vielleicht würde ich am nächsten Abend nicht mehr die Chance bekommen? Ich würde es sicher ewig bereuen. Dann blickte ich auf das Messer, die tiefen Kerben in der Klinge, und fragte mich, ob ich noch mal soviel Glück haben würde. Doch es gab nur eine Möglichkeit, dass herauszufinden, und so ging ich fest entschlossen zu der letzten Tür am Endes des Korridors, drückte die Klinke runter und öffnete langsam die Tür.
Mich erwartete Dunkelheit, pure Finsternis, die reine Essenz der Schwärze. Selbst das Licht aus meinem Wohnzimmer schien hier verschluckt zu werden. Zeit und Raum schien es an diesem Ort nicht zu geben, und ich war mir nicht einmal sicher, ob dies überhaupt ein "Ort" im eigentlichen Sinne war. Es schien so friedlich wie hinter den zwei anderen Türen, doch darauf konnte ich mich nicht mehr verlassen. Als dann ein dünner Lichtstrahl von einer unbekannten Quelle hoch oben einige Meter vor mir auf den Boden fiel, wurde ich zunehmend nervöser.
Dann passierte es: Aus dem Schatten trat eine Frau in das Licht, als hätte sie nur auf mich gewartet. Vielleicht war es ja tatsächlich so. Ihr Anblick raubte mir den Atem. Ein eng anliegendes, elegantes Kleid verdeckte ihren perfekten Körper, die nackten Schultern wurden von langen Haaren verdeckt und ihr lächeln war schöner als ein Sonnenaufgang. Sie kam langsam näher, obwohl sie sich nicht bewegte. Auch ich rührte mich nicht, denn mein Körper war wie erstarrt, vor Schönheit geblendet. Sie sagte nichts, auch nicht, als sie direkt vor mir stand und mein Verstand zu Brei wurde. Als ihre Lippen dann meine berührten, schien die Welt um mich herum zu explodieren. Ich schien am Ziel meiner Träume angelangt, auch die letzten Überreste von Zweifel waren hinweggefegt.
Doch was sich zunächst wie eine Berührung des Himmels anfühlte, wurde kurz darauf zu einem warmen kribbeln, welches sich ausbreitete, heftiger wurde und dann für einen Moment in ein brennen überging, nachdem es meinen gesamten Körper überzogen hatte. Das angenehme Gefühl wich einem seltsamen Empfinden, dass irgendwas nicht so war, wie es hätte sein sollen. Kurz darauf, ihre Lippen berührten die meinen noch immer, begann ich zu schwitzen, so stark, dass ich in Schweiß ausbrach. Doch es war viel stärker, als ich es kannte, ich spürte förmlich, wie Ströme von Flüssigkeit meinen Rücken herunter flossen, von den Händen tropften und langsam eine Pfütze bildete. Auch die Oberfläche Gesicht schien sich abwärts zu bewegen und am Kinn in langen Fäden zu Boden zu tropfen.
Ich löste mich von ihr unter Schmerzen und sah auf meine Arme hinab. Der Anblick löste reines Entsetzen aus: Die Haut hing in schleimigen Fetzen hinab, die roten Muskeln darunter lösten sich auf, verflüssigten sich zu einem rosafarbenen, schmierigen Öl.
Als meine Arme nur noch aus Knochen bestanden und mein Blick trüber wurde, weil das innere meiner Augen langsam vom Kinn tropfte, sah ich sie ein letztes mal an, blickte in ihr makelloses Gesicht und die tiefen, grünen Augen. Dann fiel ich in mir zusammen, wurden zu einem Haufen schleimiger Knochen in der Suppe meines Körpers und mein Geist entwich in die Dunkelheit.